Bürger und die Musik?
Auf den ersten Blick eine ungewöhnliche Kombination - was haben der Lyriker und Autor vieler Münchhausengeschichten und die Musik miteinander zu tun? Sehr viel mehr, als Kenner nur der Musik oder
nur der Literatur vermuten. Ohne zu sehr in die Tiefe zu gehen, dafür gibt es im Bürger-Archiv einen separaten Gliederungspunkt, sollen einige Anregungen gegeben werden.
Dass im Jahre 2002 in der Staatsbibliothek ein Albumblatt von Ludwig van Beethoven gefunden wurde, das einen Bürgerschen Text verwendet, ist nur eine neue Bestätigung für die Verehrung
, die der junge Beethoven Bürger entgegenbrachte. Es dürfte kaum einen Europäer geben, der nicht die “Ode an die Freude” aus Beethovens IX. Sinfonie im Ohr hat - wenigstens als Europahymne. Erst nach Beethovens Tod fand sich im Nachlass ein
Lied mit dem Titel “Seufzer eins Ungeliebten - Gegenliebe”, es wurde als Werk ohne Opuszahl WoO 118 eingeordnet. Es handelt sich um zwei inhaltlich verbundene Gedichte Bürgers, natürlich seiner geliebten Molly gewidmet. Wichtig ist, dass Beethoven die Melodie dieser “Gegenliebe” Ton für Ton als Hauptmotiv in seine
“Phantasie für Klavier,Chor und Orchester” op. 80 eingebaut hat und diese Melodie in leicht veränderter Form als Ode an die Freude in der IX ihre höchste Vollendung
findet. Letztlich geht also die Europahymne auf ein Gedicht von Bürger zurück.
Beethoven hat noch weitere zwei Gedichte Bürgers vertont: Mollys Abschied und Schön Suschen.
Nicht so bedeutend, dafür aber mit sehr viel mehr Vertonungen von Bürgers Gedichten: Georg Wilhelm Gruber, Zeitgenosse Bürgers.
Sein eigener “Vorbericht”: “Blos das wiederholte Verlangen vieler Liebhaber des Claviers und des deutschen Gesangs hat mir das Versprechen abgenötigt, alle sez- und sangbare bürgerische Gedichte
für das Clavier und die Singstimme zu sezen. Mein Unternehmen wird dadurch am besten gerechtfertigt werden: zumal es ein Beweis ist, wie sehr Bürger auch in unsern Gegenden als Lieblingsdichter
der Nation geschätzt wird. Ich hätte freilich gewünscht, einige Lieder, ihrer Natur und Empfindung wegen, ganz zu komponieren, aber das würde theils die Herausgabe noch länger verzögert, theils
würde es auch, wegen der Größe mancher Gedichte und des Stichs gar zu kostbar gekommen seyn. Doch ich habe wenigstens eines davon geliefert.”
In der ersten Sammlung vertont Gruber dreiundzwanzig Gedichte von Bürger, in der zweiten Sammlung achtundzwanzig. Bei dieser
Massenproduktion verwundert es wenig, wenn die Musikwissenschaft Grubers Vertonungen nicht sehr schätzt.
Das “Spinnerlied” verwendete Joseph Haydn in seinem Oratorium “Die Jahreszeiten” im Abschnitt Winter. “Es wird abwechselnd
vom Chor und von der Hanne, des Pachters Simon Tochter, gesungen. Am 29. März 1903 wurden Haydns “Jahreszeiten” in Kleve aufgeführt. Beizeiten bemerkte man aber glücklicherweise auch folgende schamlose Verse des
Spinnerlieds:
Außen blank und innen rein Muß des Mädchens Busen sein.
So wurde denn auch das Textbuch für die guten Klever ohne jene sündigen Verse Bürgers gedruckt. Aber man hatte sich verrechnet: Fräulen Stephanie
Becker aus Köln, die Sopransängerin des Abends, sang sie doch, unbekümmert um das Erröten sämtlicher Mütter und Töchter und zum Entsetzen der klevischen Tugendwächter, frisch, fromm, fröhlich in den Saal
hinein.”
Einer des besten Orgelspieler seiner Zeit und der bedeutendste
Komponist des Harzraumes war Carl Christian Agthe, vor allem in Ballenstedt/Harz tätig.
In seinem Liederbuch hat er sieben der schönsten Liebesgedichte Gottfried August Bürgers vertont.
Alle diese Lieder sind auf der CD unseres Vereins enthalten.
Die Aufnahme erfolgte in den Franckeschen Stiftungen in Halle/Saale. Dort ging der kleine Bürger drei Jahre im Pädagogium zur Schule.
Christoph Martin Wieland schrieb 1778: “Wer, in kurzem wird nicht Bürgers Gedichte auswendig wissen? In welchem Hause, in
welchem Winkel Deutschlands werden sie nicht gesungen werden?”
So erinnert sich die Göttinger Dichterin Philippine Gatterer mit Vergnügen daran, daß Leute von Geschmack ganz in Entzückung kommen, wenn sie Bürgers “das Mädel, das ich
meine” singt und dazu spielt. Und auch die schöne Melodie des Doktor Weis. Wenn mit Gefühl der Vers gesungen und mit Ausdruck gespielt wird: Lob sei u.s.w. so gehts ans Herz wie
ein Psalm; einem däucht, man möchte die Hände falten ...
Auch im Stolbergschen Hause werden die Bürgerschen Lieder viel gesungen: “Oft singt mein Weib Ihre Lieder” oder “Meine
Agnes, die herzliche Sängerin Ihrer Lieder” oder “Als ein kleines Mädel hat sie schon mit Empfindung Ihre Lieder gesungen und singt sie mir oft...” Vier der Weisschen Kompositionen sind auf unserer CD enthalten.
Eine Vertonung der Ballade Lenore, die Musikgeschichte geschrieben hat: Johann André war der erste Komponist, der die Lenore durchkomponiert hat. Vorher
wurden alle Strophen nach ein und derselben Melodie gesungen, was bei 32 Strophen fast schon eine Zumutung ist und vor allem den unterschiedlichen Stimmungen nicht gerecht werden kann. Bürger erhielt diese Komposition von Boie und schrieb zurück: “Lenore sieht ja sehr glänzend
aus. Ich habe mir aber von verschiedenen Musikern sagen lassen: Die Komposition sei abscheulich. Selbst habe ich sie noch nicht gehört; verstehe mich auch nicht darauf; bin aber
doch nun recht begierig, sie zu hören. Muß ich mich denn wohl beim Herrn André bedanken?”... Im Winter 1776 hörte Biester Andrés Komposition, die als Duett gesetzt war, im Gerstenbergschen Hause zu Lübeck singen und war davon
sehr entzückt: “O Bürger, Bürger!” schreibt er. “Wärst Du doch dagewesen! Solche Herrlichkeit der Musik, solche
Kraft des Gesangs! Wie jeder Gedanke ganz ergriffen ist, und ganz ausgedrückt! Voll Wahrheit! Voll Natur! Einige Stellen sind über
allen Ausdruck vortrefflich. Wie hats mein Herz gelabt! Und wie entzückte michs, dabei an dich zu denken”. Interessant, wie unterschiedlich diese neue Kompositionsform gewertet wurde - heute sieht man Andrés Leistung positiv. Auch
interessant: das Aquarell von Chodowiecki erscheint erstmals (als Stich ohne Farbe) auf dem Titelblatt der 4. Ausgabe von Andrés
Lenore mit der Erläuterung: Einzug auf dem Friedhof, o. luftiges Gesindel, r. hinten Hochgericht.
Ich rühme mir,
Mein Dörfchen hier! Denn schön´re Auen, Als rings umher Die Blicke schauen, Blühn nirgends mehr.
Welch ein Gefilde, Zum schönsten Bilde Für Dietrichs Hand! Hier Felsenwand, Dort Ährenfelder
und Wiesengrün, Dem blaue Wälder Die Grenzen ziehn! ... Der vier Jahre nach Bürgers Tod geborene Franz Schubert
vertonte Bürgers “Das Dörfchen” für Männerchor - ein sehr melodisches Lied, wie man es bei Schubert erwartet.
Mit dem Dörfchen ist aber nicht Bürgers Heimatdorf gemeint, es handelt sich vielmehr um die Bearbeitung eines
französischen Themas.
Zu Unrecht hat Bürger einmal seine Ballade “Die Entführung oder Ritter Karl von Eichenhorst und Fräulein Gertrude von Hochburg”
als seine beste bezeichnet. Es handelt sich um eine Ballade, die wenig Tiefgang hat und bezeichnenderweise mit den Zeilen endet:
“Auf! Wechselt Ring´und Hände! Und hiermit Lied am Ende!”
Allerdings entsprach diese Ballade Bürgers Idee von der Volkspoesie, er wollte auch vom einfachen Volk verstanden werden. Hinzu kommt, dass er der Meinung war, dass auf
den Vortrag dieser Ballade die Hälfte der Wirkung beruhe. Man kann sich wohl am besten vorstellen, dieses Werk als eine Art Bänkelsang aufzuführen. Vertont worden ist die Entführung auch von Johann Rudolf Zumsteeg. Dazu gibt es
eine hervorragende Einspielung mit dem berühmten Bariton Bernd Weikl und dem Pianisten Wolfgang Sawallisch. Im Händelhaus in Halle/Saale wurde 1972 diese Ballade mit Käthe Röschke aufgenommen und ist jetzt als CD verfügbar.
Verwendete Quellen:
- Die wörtlichen Zitate sind Erich Ebsteins “Bürgers Gedichte in der Musik” entnommen, erschienen 1903
in der Zeitschrift für Bücherfreunde, Heft 5, S. 177-198 - Beethoven-Bild aus: Musik in Geschichte und Gegenwart, (c) Bärenreiter-Verlag 1986 http://www.digitale-bibliothek.de/band60.htm ]
- Des Herrn Gottfried August Bürger´s Gedichte [...] von Georg Wilhelm Gruber. Erste Sammlung Nürnberg 1780 - Ausschnitt aus einem Stich Cl. Kohls, Gedichte von Gottfried August Bürger II. Teil Wien 1792
- Lieder eines leichten und fließenden Gesanges [...] von Carl Christian Agthe Dessau 1786 - Lieder mit Melodien von D. Friedrich Wilhelm Weis Zweyte Sammlung Lübeck 1776 dieses Liederbuch ist als DigiWunschbuch beim Göttinger Digitalisierungszentrum vorhanden:
- Aquarell von Daniel Chodowiecki 1784 aus Helmut Scherer: Gottfried August Bürger Eine Biographie Berlin 1995 - Schubert-Bild aus: Musik in Geschichte und Gegenwart, (c) Bärenreiter-Verlag 1986
http://www.digitale-bibliothek.de/band60.htm ] - Titelbild von Zumsteegs Vertonung der Entführung aus: Balladen von Gottfried August Bürger Teil 1
Das Erbe deutscher Musik, Herausgegeben von der musikgeschichtlichen Kommission e.V. Band 45 Verlag B. Schotts Söhne in Mainz 1970
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