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Bürger-Rezeption Volltexte 1881-1897
bis 1789 1790-1799 1800-1806 1807-1815 1816-1821 1822-1825 1826-1828 1829-1831
1832-1836 1837-1840 1841-1845 1846-1850 1851-1855 1856-1858 1859-1861 1862-1865
1866-1868 1869-1870 1871-1880 1881-1897 1898-1915 1916-1949 ab 1950
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1881
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Nietzsche, Friedrich an Paul Rée, 8. Juli
"Ich habe gerade auch eine gefährliche Zeit hinter mir und bin wieder im Engadin angelangt, meiner alten Rettungsstätte: ´des Leibes noch nicht ledig´ und was die Seele betrifft,
so lesen Sie das Buch, welches unser Verleger Ihnen zusenden wird."
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1881
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Anzeige. In: Leipziger Tageblatt und Anzeiger 14.6.
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1882
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Stern, Adolf. Bürger, Gottfried August. In: Lexikon der deutschen Nationallitteratur. Leipzig
“[S. 46] Seine ´Gedichte´ (zuerst 1778 gesammelt) bildeten den Kern und Stamm seiner sämtlichen Werke und gaben ihm eine bedeutende Stellung in der Entwicklungsgeschichte der deutschen
Poesie. B. war einer der ersten Dichter, die in Lied und Ballade unmittelbare Wärme der Empfindung, volle Wirklichkeit des Lebens, höchste Mannigfaltigkeit der Stimmung in sinnlich-kräftigem, fortreißendem Ausdruck
und in reizvoller Form und mit melodischem Fluß gaben. Seine vorzüglichen Balladen (namentlich ´Lenore´, ´Der wilde Jäger´, ´Das Lied vom braven Mann´, ´Der Kaiser und der Abt´) und die einfach-schönen Gedichte,
welche die Stimmungen seines freilich nicht harmonischen Lebens treu wiedergeben, konnten durch vermeintlich volkstümliche Roheiten, Plattheiten und Geschmacklosigkeiten, die sich in andern Gedichten, ja
gelegentlich und vereinzelt sogar in den besten Dichtungen selbst finden, nicht wirkungslos gemacht werden. An der formellen Vollendung der Bürgerschen Gedichte hatten auch die Reflexion und unablässige Übung ihren
Anteil; B. gehörte zu den Poeten, bei welchen die Vorstellung künstlerischer Vollendung zuerst wieder Macht gewann. Die verhältnismäßig nicht sehr zahlreichen Gedichte schlossen daher eine Fülle wirklichen innern
Lebens, sprachlicher Kraft und poetischer Arbeit in sich ein und lassen in B. den hervorragendsten deutschen Lyriker der vorgoetheschen Epoche unsrer Literatur erkennen. “
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1882
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Brockhaus’ Conversations-Lexikon, Leipzig
„Seine Liebesgedichte, obschon er in ihnen die Liebe nicht in ihren zarten Tiefen und geistigen Elementen erfasste, sind oft hinreißend durch den vollen Klang ihrer Worte und durch ihre
sinnliche und leidenschaftliche Glut. Seine Sonette gehören zu den besten, die in deutscher Sprache gedichtet worden sind. Wohl zu beachten ist auch der kräftige Mannessinn, der Haß gegen alles Schlechte, Gemeine,
Despotische in manchen seiner Gedichte, wie er auch einer der ersten Deutschen war, welche die exklusive Gelehrsamkeit, den Gelehrtendünkel und die Pedanterie in der Wissenschaft mutig angriffen. Bürger ist als
einer der Sprachschöpfer des 18. Jahrhunderts zu betrachten. Nicht nur, dass er ängstlich auf Korrektheit und Wohllaut des Verses hielt, so hat er auch manche fremdländische poetische Formen, wie das Sonett, in
Deutschland wieder zu Ehren gebracht.“
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1882
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Egelhaaf, Gottlob. Die Sturm- und Drangperiode. In: Grundzüge der deutschen Litteraturgeschichte. Heilbronn
“[S. 92] Herders Richtung auf das Volkslied fand einen höchst talentvollen Fortsetzer in Gottfried August Bürger, 1747 - 94, der nach den bittersten, verschuldeten und unverschuldeten
Lebenserfahrungen als ausserordentlicher Professor der Literatur in Göttingen starb, wo er früher dem ´Hain´nahe gestanden war. Mit volkstümlicher Kraft des Ausdrucks und wirklicher Originalität begabt, hat er in
seinen Liedern den Volkston meisterhaft getroffen, wenn er auch freilich manchmal volktümlich und gemein-derb verwechselt, worüber ihn Schiller zur Rede stellte. Seine 1774 erschienene Lenore ist ein
Meisterstück populärer Balladendichtung; aber auch andere Schöpfungen Bürgers (der Kaiser und der Abt; das Lied vom braven Mann; der wilde Jäger) sind noch nicht verklungen. “
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1882
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Norddeutsche allgemeine Zeitung [Berlin], Morgen-Ausgabe 06.6.1882
"Theater und Kunst * (Im
Victoria-Theater) fand am Sonnabend eine Wiederholung der 'Königin von Golkonda', einer komisch-phantastischen Operette mit großen Ballets in 3 Akten, nach Bürgers gleichnamigem Gedicht, frei bearbeitet von G.
Michaelis, Musik von C. A. Raida, statt. Wie schon das vorstehende Programm hinlänglich besagt, ist das Ganze mit großem Luxus ausgestattet, in dem alles funkelt und blendet. Die Kostüme sind überaus reich und
geschmackvoll, die Tänze mit viel choreographischer Erfindungsgabe arrangirt. Von einer leichten melodiösen Musik begleitet entfallen sie eine Reihe buntfarbiger Bilder, aus denen charakteristisches Leben und viel
nationales Temperament spricht. Die sehr burlesk gehaltene Handlung mit ihren Episoden ist hier wohl bekannt. Die Darsteller bemühten sich in redlichster Weise, ihrer Aufgabe gerecht zu werden, wofür ihnen
schallender Applaus zu Theil wurde. Der kostbare Aufwand, der sich uns in diesr neuen Ausstattungsoperette zeigt, und von den Mühen und großen Kosten, welche die Unternehmer daran setzten, dem Publikum einem
heiteren Abend zu bereiten, Zeugniß ablegt, wird hoffentlich nicht verfehlen, der Gesangsposse, als welche man das Stück besser bezeichnet, zahlreichen Besuch zuzuführen."
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1882
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Anzeige. In: Wöchentliche Anzeigen für das Fürstenthum Ratzeburg 20.10.
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1883
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Holzhausen, P.: Die Ballade und Romanze von ihrem ersten Auftreten in der deutschen Kunstdichtung bis zu ihrer Ausbildung durch Bürger.
In: Zeitschrift für deutsche Philologie (S. 129-193, 297-344)
“[S. 297]Da aber Bürgers dichtung wie die weniger deutscher dichter pathologisch ist und die eigenen lebensumstände des autors, aus denen sie
hervorgegangen, beständig widerspiegelt, so möchte eine ganz kurze darstellung derjenigen lebens - und bildungsverhältnisse Bürgers hier am platze sein, aus deren schosse seine dichterische persönlichkeit
hervorwuchs; und welche das zusammenwirken jener zwei scheinbar so weit auseinanderliegenden elemente bedingten, welche - um es kurz vorweg zu nehmen - das wesen der Bürgerschen poesie zusammensetzen, ich meine die
bereits oben angedeutete richtung auf das volkstümliche und zugleich sein streben nach äusserer, fast in antikem sinne aufgefasster formvollendung.
[S. 303] So wuchs denn die `Lenore´, von dem deutschen
volksliede angeregt, von den werken der sturm- und drangperiode gezeitigt, unter den veredelnden eindrücken, die eine romantische natur schon vor der geburt auf das kind der phantasie ausübten; nicht, wie die
meisten werke der stürmer und dränger war sie eines tages da, sondern in harten weben rang sie sich aus dem schosse des dichters, und der ganze Göttinger bund hat bei der geburt geholfen.
[S. 305] Mit
genialer meisterschaft ist die charakterschilderung in der ´Lenore´ ausgeführt; die charaktere sind voll individueller wahrheit und mit realistischer schärfe aufgefasst, die einzelnen züge fast alle wahr und würdig;
eine eigentliche so genante manier ist allerdings im werden begriffen, aber sie taucht noch unter in dem lebendigen ringen und schaffen des jünglings und ist von jeder beengenden starre noch weit entfernt.
[S. 311] Auch zeigt Bürgers dichtung [Die Weiber von Weinsberg], die sich durch einheit und einstimmigkeit über den ´Raubgrafen´ unvergleichlich erhebt, wie man auch das bänkelsängerlied durch humor und geistvolle
behandlung, wobei einige derbheit immerhin nicht ausgeschlossen ist, zu einer ästhetisch nicht übel wirkenden dichtung verarbeiten könne.
[S. 311] Aus diesem einfachen stoffe hat Bürger nnter luxuriöser
ausmalung der gegebenen und einflechtung mancher neueren züge ein 82strophiges balladenopus [Lenardo und Blandine] geschaffen. Tragen nun jene zusätze Bürgers schon im ganzen den charakter theatralischer
effecthascherei, so ist im einzelnen alles so überladen und schwülstig, die ausbrüche der leidenschaft sind so sehr ins furiose und tobende, die schreckensscenen so ins grasse, schauerliche, körperlich angreifende
hineingemalt, dass die ballade kaum anders als einem groben, an dicke pinselstriehe gewöhnten geschmacke wol behagen kann, den feineren leser indessen durch eben diese züge unangenehm berühren muss. [...] Dass
Bürger in diese ausschweifende manier verfiel, hat seine guten litterarischen ursachen. Dem einflusse Shakespeares, des missverstandenen Shakespeare, haben wir, wie die tumultuarischen dramen von Lenz und Klinger,
so auch das furiose gebahren der neuen ballade zu verdanken; [...] Wichtiger indessen ist die Shakespearomanie und der sturm und drang in dieser ballade überhaupt; wenn ´Lenore´, zusammen mit den ´Fliegenden
Blättern´ und dem ´Götz´ die sturm- und drangperiode in gutem sinne ankündigt, d. h. den fortschritt bezeichnet, den das geniewesen gegen die dürre regelmässigkeit einer früheren epoche unleugbar gemacht hat, so ist
´Lenardo und Blandine´ die vertreterin der sturm - und drangballade im tadelnden sinne des wortes, welche die auswüchse und verkehrtheiten jener litterariscben epoche widerspiegelt.
[S. 314] Bürger hat diese
rhetorischen partien mit voller, bewuster absicht so stark hervortreten lassen; er beabsichtigte ein volles durchdringen der episcben durch die lyrischen teile des gedichtes [Das Lied vom braven Manne] zur
specifisch lyrischen romanze, wie dies, abgesehen von dem titel, auch aus einer stelle der von Carl v. Reinhard herausgegebenen Bürgerschen Aesthetik (teil II, s. 261) hervorgeht, wo er das ´Lied vom braven mann´
neben ´Des armen Suschens traum´ (einer der kleineren romanzen, gedichtet 1773), als vertreter der echt lyrischen unter seinen romanzen anführt. In wirklichkeit aber stehen die lyrisch - rhetorischen und die
epischen bestandteile in dem ´Lied vom braven mann´ ziemlich unvermittelt neben einander, das gedicht ist bei seiner verarbeitung zur ballade gewissermassen auf halbem wege eingefroren, und die veramalgamierung der
epischen und lyrischen bestandteile des gedichtes, welche sich in der alten volksballade von selber volzog, die aber der moderne balladendichter immer erst auf künstlichem wege erreichen muss, ist verunglückt,
überhaupt ist das ´Lied vom braven mann´ dem begriffe einer ballade nicht recht entsprechend, immerhin aber als erster versuch in seiner art für die geschichte der balladenpoesie wichtig. und wenn auch diese ballade
in der gegebenen form nicht recht populär werden konte, so ist sie anderseits durch ihren inhalt wie wenige von Bürger, für den unterricht besonders geeignet, und mancher der späteren balladendichter mag durch sie
auf das gebiet dieser dichtungsart hingeführt worden sein. Mit bedeutend besserem erfolge gelang es Bürger, einen stoff zur ballade zu gestalten, der noch weit mehr als derjenige des ´Liedes
vom braven mann´ dem gewöhnlichen, ja sogar dem trivialen altagsdasein entnommen ist, in der ballade´ Die kuh´ (zuerst im Musenalmanach für 1785 erschienen, nach Pröhle 1784 verfasst). ´Eine Kuh, die von einem
wohlthätigen Manne einer armen Frau in den Stall geführt wird,´ fragt Götzinger, ´was macht das auf die Phantasie weiter für einen Eindruck?´ Aber der dichter der ´Lenore´ hat diesen stoff behandelt, mit der
genialität, die er in der ´Lenore´ bewiesen hatte, und merkwürdigerweise ist das stück auch nach demselben plane im kleinen angelegt, nach dem die ´Lenore´ im grossen gebaut ist; eine ganz genau mit jener
correspondierende dreiteilung. [...] Das bild der herde muss den schmerz des armen weibes um ihr treues tier auf das lebhafteste erregen. Der dichter lässt durchblicken, dass die kuh der witwe mehr als ein blosses
versorgungsmittel, dass sie ihr ein lieber hausgenoss gewesen.
[S. 318] Aber es ist nicht zu leugnen, dass Bürger bei dem nachzeichnen an vielen stellen [Die Entführung] die farben zu dick aufgetragen und das
zarte der englischen dichtungen gröstenteils verwischt, dass er auch, um dem ganzen mehr effect zu geben, durch wilkürliche änderungen allerlei übertreibungen in das gedicht gebracht und endlich gar zu viel
vulgarismen als volkstümlichkeiten auftischt. [...] Wenn nach der voraufgegangenen besprechung Bürger sein original durch die vielfachen änderungen im grossen und ganzen vielleicht verschlechterte, so ist dabei
nicht zu übersehen, dass er nur durch akklimatisierung seiner helden und eine allerdings übertriebene annäherung an das deutsche landbaronentum der neuzeit seine übertragung populär zu machen hoffen durfte, und wenn
Schlegel gerade mit bezug auf dieses gedicht den einfluss der zu spät erschienenen Herderschen ´Volkslieder´ vermißt, so ist doch dagegen einzuwenden, dass noch so vorzügliche übertragungen poetischer erzeugnisse
fremder völker im originalen geiste wenig hofnung haben, in einer nation völlig heimisch zu werden.
[S. 320] ´Frau Schnips´ ist eine, wie die `Entführung´ ihr original vergröbernde, allein auch wie diese
dasselbe treflich in deutsche anschauung übertragende Bearbeitung von ´The wanton wife of Bath´ (Percy III, 145), einem schwankartigen gedichte aus der späteren, etwa der nachelisabethanischen zeit, welches in der
damals aufkommenden, dem deutschen bänkelgesang in mancher Beziehung ähnlichen manier die schicksale eines zanksüchtigen weibes nach dem tode - als folie dient jene ergözliche figur aus Chaucers Canterbury Tales -
schildert. [...] Weniger gerechtfertigt vom ästhetischen standpunkte halte ich die angehängte ´apologie´, welche aber Bürger um so notwendiger schien, als er durch seine mutwillige und lascive behandlung des
gegenstandes - bei seiner ohnehin exponierten stellung - zu litterarischen und persönlichen angriffen herausgefordert hatte.
[S. 324] Der vorwurf Schlegels, dass Bürger sich bei dieser ballade [Des Pfarrers
Tochter von Taubenhain] in dem stoffe vergriffen habe, hätte, glaube ich, dem dichter erspart bleiben können, namentlich von der seite, wie Schlegel die sache auffasst. Das unglück eines armen verführten mädchens,
welches von seinem eigenen vater verstossen und auch von dem liebhaber verleugnet, als kindesmörderin durch die strenge der gesetze endet, ist entschieden ein poetisch wol brauchbares und speciell zu einer ballade
durchaus verwendbares motiv, das viele volkslieder, wenigstens in einzelnen seiner momente behandeln. Vielleicht eher berechtigt ist dieser vorwurf Schlegels von der seite, dass dieser stoff speciell für Bürgers
behandlungsweise der ballade etwas verfängliches hatte; konnte er doch bei seinem streben nach ausführlicher behandlung der grossballade leicht in eine peinigende detailmalerei der psychologischen wie körperlichen
zustände der unglücklichen heldin verfallen, wie es in der tat in dieser dichtung der fall war, wodurch diese ein gewisses criminalistisches gepräge nicht verkennen lässt. Anderseits ist es Bürger gelungen, die
schilderung dieser seelenzustände so in den lyrisch - dramatischen teil der ballade hineinzugiessen und diesen wiederum so geschickt mit der epischen erzählung zu verflechten, dass von diesem standpunkte aus das
gedicht gerade als ballade eine nicht verächtliche stelle einnimt; schade, dass sich Bürger auch hier der einmischung von vulgären elementen nicht ganz entschlagen konte!
[S. 329] Die composition des
gedichtes [Der wilde Jäger] ist der der ´Lenore´ ähnlich, doch ist die ballade eigentlich monodramatisch, die andern personen haben nicht viel mehr bedeutung als der chor in der antiken tragödie, das ganze interesse
concentriert sich auf die wüste, aber imposante gestalt des wilden grafen. [...] In geschicktester weise ist nun im verlaufe des gedichtes das epische und das lyrisch - dramatische balladenelement zu einem äusserst
lebensvollen ganzen verflochten. Wie eine wand durch gitterwerk und verzierungen, so ist die erzählung des jagdverlaufs durch die reden der fremden reiter und des grafen und die bitten des durch die rohheit des
lezteren bedrängten landmanns, hirten und klausners durchbrochen. Der wechsel zwischen erzählung und rede findet auch innerhalb der strofe statt, deren bau zur aufnahme verschiedenartiger elemente sehr geeignet ist.
[...] Recht charakteristisch für Bürgers balladendichtung ist in der endstrofe ein schon öfter beobachtetes anknüpfen an die unmittelbarste gegenwart, diesmal an den landläufigen glauben an den wilden jäger, wie ihn
der wüstling sieht, der in düsterer nacht trunken nach hause taumelt, und der waidmann, der auf dem anstande liegt oder nächtlicherweile einsam den wald durchstreift.
[S. 331] Mit genialer vielseitigkeit
schöpfte Bürger aus dem vollen borne alles dessen, was poesie heisst, griff in die lieder und sagen des volkes, des eigenen sowol, denen er in den spinnstuben und unter den linden des dorfes lauschte, wie auch des
englischen, die er besonders in Percys sammlung vorfand; daneben weiss er sich anderseits der begebnisse des lebens für seine balladen dichtung zu bemächtigen; im algemeinen sind es einfache, nicht verwickelte
begebenheiten, die er behandelt, aber solche, welche das einfache gemüt ergreifen und erschüttern. Zugegeben nun auch, dass sich Bürger in den stoffen hin und wieder vergriffen - so hätte er z. b. unstreitig den
Percy ausgiebiger und zugleich mit sorgfältigerer auswahl benutzen können - so bleibt die tatsache bestehen, dass Bürger der balladenpoesie anstatt der bisherigen engen sphäre ein freies, grossartiges gebiet
würdiger stoffe erschlossen. Hinsichtlich der darstellung ist Bürger der erste, der in grösserem massstabe und consequenterer durchführung seine
balladenstoffe als ernste, um ihrer selbst willen der darstellung würdige gegenstände auffasste und damit zugleich die ballade und romanze aus der komischen gattung, zu der sie bisher in Deutschland ausdrücklich war
gerechnet worden, unter die ernsten gattungen der poesie versetzte. In dieser seiner tätigkeit knüpft er an die vorhandene volksdichtung, wie schon oben gesagt, gerne an, geht aber in der ausführung über sie hinaus
und erreicht seine hauptsächlichste bedeutung als schöpfer der grossballade, d. h. derjenigen dichtung, welche die epischen, lyrischen und dramatischen elemente , die in den kleineren balladen mehr oder weniger
getrent auftreten, mit künstlerischem bewustsein in sich vereinigt. Die durchführung dieses princips ist Bürger in manchen seiner balladen in hervorragender weise gelungen. (´Lenore´,
´Entführung´, `Pfarrerstochter´ , ´Wilder jäger´.) Das dramatische element insbesondere tritt ausser dem dialoge in der Bürgerschen grossballade auch in der composition im grossen hervor.
[S. 333] Die superiorität der dem echten volksleben entnommenen, lebensvollen charaktere Bürgers über die trockenen schattenbilder der bünkelsänger tritt besonders in den dialogen seiner balladen hervor. Auch in
diesen hat Bürger die form der volksdichtung aufgegeben bzw. völlig umgearbeitet. Der dialog des volksliedes ist abgebrochen, die psychologische motivierung nur undeutlich angegeben, oft geradezu unverständlich;
Bürger dagegen glänzt in grossartigen, die gedanken völlig erschöpfenden dialogen (vergl. die berühmten dialoge in der ´Lenore´ und im ´wilden jäger´), und in diesen liegt gerade eine hauptstärke der Bürgerschen
balladendichtung; anderseits ist er der erste, welcher versucht, die ballade zur darstellung einer sittlichen idee zu benutzen (´Lenore´, ´wilder jäger´), wenn auch mit geringerem erfolge.
[S. 334] Ein
volksdichter aber in dem sinne der alten minstrels oder balladensänger ist in unserer zeit bei der trennung unseres volkes in die klassen der litterarisch gebildeten und nicht gebildeten nicht mehr möglich. Ein
volksdichter im modernen sinne kann also nur derjenige sein, der entweder mit aufgaben der ersteren klasse in der ideen - und empfindungs sphäre der zweiten, des ´volkes´, dichtet, oder dem es gelingt, seine
dichtung so zu gestalten, dass sie dem ungebildeten zugänglich, zugleich aber dem gebildeten geschmackvoll genug ist; denn ein dritter weg, den Goerth (in seiner citierten abhandlung s. 382) so nent, die denk - und
empfindungs weise des zweiten teiles in den nur dem ersten teile zugänglichen kunstformen darzustellen, d. h. die empfindungsweise des volkes nur als objekt der dichtung zu benutzen, kann doch unmöglich als
wirkliche volksdichtung bezeichnet werden. Nun ist von den beiden oben angegebenen arten die erste entschieden so niedrig, dass sich ein wahrer dichter kaum zu ihr verstehen wird; die zweite aber, die von Schiller
in seiner bekannten recension als forderung aufgestelte, so schwierig, dass sie kaum in der einen oder andern dichtung durchzuführen ist - am ersten noch im einfachen liede, wie es Claudius u. a. anbauten - am
wenigsten aber, wie Schiller in überstiegenem idealismus von dem dichter verlangte, in allen gedichten desselben oder auch nur in der mehrzahl. Ein volksdichter also als dichter für den zweiten teil des volkes, den
litterarisch nicht gebildeten, ist, wenn er nicht bei der ganz niedrigen aufgabe stehen bleibt, seine bezüglichen gedichte nur für diesen zu verfassen, in unseren tagen nahezu eine unmöglichkeit, und das bestreben
eines dichters, volkstümlich zu sein, kann sich allein darauf richten, durch eine möglichste enthaltung von allen positiven, specifisch der klasse der gebildeten angehörenden elementen und durch eine klare, algemein
verständliche darstellung die grenze der zugänglichkeit für seine dichtungen möglichst weit in den besseren teil der zweiten klasse des volkes hineinzuschieben. Bürger aber fasste die aufgabe volkstümlicher poesie
vielmehr als die einer durchschnitsdichtung auf, wie aus seinem vergleiche des volksdichters mit einem schuhmacher hervorgeht, welcher fertige schuhe zum markte liefert und sich dabei für das gros derselben eines
durchschnitsmasses bedient. Bei dieser auffassung wird man es erklärlich finden, dass Bürgers dichtung viele elemente aufnahm, die dem gebildeten, ich will nicht sagen, ganz ungeniessbar sind, aber die ihn doch
abstossen; anderseits aber wäre trotz des erwähnten strebens seine dichtung bei weitem weniger in das volk eingedrungen, wäre Bürger bei seinen absichten von kahler theorie ausgegangen, und nicht vielmehr sein wesen
und seine ganze dichterische persönlichkeit mit diesen bestrebungen auf das innigste verwachsen gewesen. Als ein echter sohn des deutschen volkes, mit welchem im innigsten verkehr er den
grösten teil seines lebens verbrachte, brauchte er die empfindungs- und anschauungsweise des volkes sich nicht erst anzueignen, da er sie in den meisten beziehungen teilte; daher seine sinliche, packende art der
darstellung, sein interesse an der frischen, umgebenden gegenwart, auf die er seinen balladen stets eine beziehung zu geben wusste, daher seine vorliebe für die geheimnisvollen schauer der natur - und geisterwelt,
und in sofern man diese ingredienzien der nordisch - germanischen volksballade auch als solche der kunstballade betrachtet, ist Bürger Deutschlands gröster balladendichter , wie Löwe sein gröster compositeur.
Bei seiner immerhin vagen vorstellung von volkstümlichkeit lag nun aber für Bürger die gefahr nahe, das volk, wenn auch nicht gerade mit dem pöbel, wie ihm vorgeworfen worden ist, so doch mit den
niedrigeren elementen des volks zu identificieren, und, wie er selbst keine ganz geläuterte und abgeklärte natur war, in den unreinen, ja rohen vorstellungen dieser klasse sich zu bewegen.
So hat Bürger eine bedenkliche vorliebe für die darstellung entsetzlicher begebenheiten in der ballade, deren grässlichste momente er gerne hervorsucht, um sie in grasser, nerven angreifender
weise zu schildern. Dahin gehört auch die übertreibung in seinen schilderungen überhaupt, die verschwendung von bildern und gleichnissen und farben, die dicken, oft plumpen pinselstriche, mit denen er malt und mit
denen derjenige malen muss, der nicht für einen verfeinerten geschmack, sondern für die groben nerven des weniger gebildeten arbeitet.
[S. 336] Das lebhafteste bild von Bürgers volkstümlichen bestrebungen
gewährt seine sprache. Wie Bürger in seinen briefen, besonders in denjenigen an vertraute freunde (z. b. an Goecking, an den hofrat Liste, an seinen schwager Georg Leonhard usw.) sich mit vorliebe in volksmässigen
und derben redensarten ergeht, so bringt er auch in seinen balladen gerne derartige wendungen und ausdrücke an, welche seiner sonst so schönen und grossartigen sprache nicht eben zum vorteile gereichen. Durch diese
form des unterhaltungstones sind allerdings die dialoge der Bürgerschen balladen sehr lebenswahr und individualistisch gefärbt, aber in das reich vollendeter und reiner kunst erheben sie sich nicht alle. Dies war
einer der wesentlichsten punkte, an denen der idealismus Schillers anstoss nahm und nehmen muste; Bürger aber hielt sich zu einer einführung derartiger elemente in die balladendichtung um so mehr berechtigt, als er
dieser, entsprecbend dem alter und der abkunft der alten volkslieder, noch vor aller anderen dichtung das recht vindicieren zu müssen vermeinte, gewisse rauheiten an sich zu tragen oder, nach seinem ausdrucke,
´etwas rostig zu sein.´
[S. 338] Wenn auch manche dieser versuche, durch solche äusserliche mittel auf volksmässiges dichten hinzustreben, recht wirkungsvoll sind, so hat anderseits durch übertreibung und
unkünstlerische verwendung derselben die sprache des dichters manchen flecken erhalten. Immerhin aber sind diese gering anzuschlagen gegen das verdienst G. A. Bürgers, nach den rohen tönen des bänkelsanges der
deutschen ballade eine grosse, geniale und edle sprache gegeben zu haben. Berühmt ist die musik der Bürgerschen sprache überhaupt, und gerade die ausführlichkeit der grossballade gab dem dichter gelegenheit, seine
poetischen mit grossartigen ton - und klanggemälden zu begleiten. Auch im reime weiss Bürger vortreflich zu wirken; er liebt volle und bedeutungsvolle reime.
Nicht minder versteht es der dichter, in metrischer hinsicht seine balladen in ein angemessenes und schönes gewand zu kleiden und mit grosser kunst weiss er die metra dem gedankeninhalte seiner gedichte anzupassen.
Bürgers balladen sind in steigenden, jambischen oder anapästischen metren abgefasst, dem lebendigen, stürmenden charakter der nordisch - germanischen und insbesondere seiner ballade durchaus angemessen.”
Der vollständige Beitrag in der ONLINE-BIBLIOTHEK
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1883
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Montags-Revue aus Böhmen 30.04.1883
"Prager Wochenrevue Seit Bürgers 'Leonore' gilt es für ausgemacht, daß 'die Todten schnell reiten'. Der Ritt derjenigen aber, die aus dem Concordats-Grabe aufgestanden sind,
um die liberalen Schulgesetze zu holen, ist ein sehr langsamer. Mehr als eine ganze Woche lang zog sich die Debatte über die einzelnen Paragraphe der fatalen 'Novelle'."
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1883
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Anzeige. In: Der sächsische Erzähler 2.5.
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1883
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Anzeige. In: Jeversches Wochenblatt 13 03
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1884
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Ueberweg, Friedrich. Uebersicht über Schiller's spätere philosophische Arbeiten überhaupt. In: Schiller als Historiker und Philosoph. Hg. Moritz Brasch. Leipzig.
“[S. 145] In die letzten Monate von 1790 fällt Schiller's Recension von Bürger's Gedichten (die in der ´Allgemeinen Litteraturzeitung´ von 1791 erschien), worin er von dem Dichter das
ernste Streben nach idealischer Selbstvollendung als Bedingung classischer Leistungen fordert und bei Bürger vermißt. ´Alles, was der Dichter uns geben kann, ist seine Individualität. Diese muß es also werth sein,
vor Welt und Nachwelt ausgestellt zu werden. Diese seine Individualität so sehr als möglich zu veredeln, zur reinsten herrlichsten Menschheit heraufzuläutern, ist sein erstes und wichtigstes Geschäft, ehe er es
unternehmen darf, die Vortrefflichen zu rühren. Der höchste Werth seines Gedichtes kann kein anderer sein, als daß er der reine Abdruck einer interessanten Gemüthslage eines interessanten vollendeten Geistes ist.
Nur ein solcher Geist soll sich uns in Kunstwerken ausprägen; er wird uns in seiner kleinsten Aeußerung kenntlich sein und umsonst wird, der es nicht ist, diesen wesentlichen Mangel durch Kunst zu verstecken
suchen.´ Vergeblich hat Bürger in seiner Antwort Schiller's Ideal als den leeren Traum eines Metaphysikers bekämpft. Schiller zeigte die Realisirbarkeit durch die eigene That, durch die Läuterungsarbeit, die er an
sich selbst vollzog, um geistig erneut und gekräftigt zur Dichtung zurückzukehren. Aber darin hatte Schiller Unrecht, daß er wie er selbst später gestand) die allgemeinsten Normen zu unvermittelt auf die Leistungen
des einzelnen Dichters anwandte und daß er zwischen der gelungenen Lösung der höchsten Aufgabe und dem Verwerflichen nicht die Mittelstufen gelten ließ, deren jede doch für bestimmte Bildungssphären das gerade ihrem
Verständniß noch zugängliche Maaß von idealischer Erhebung enthält. Schiller fordert hier von dem lyrischen Dichter im Wesentlichen das Gleiche, was er in der Recension des Goethe'schen ´Egmont´ von dem Helden eines
dramatischen Stückes verlangt hatte, nämlich Idealität, nur daß diese bei der lyrischen Dichtung in der reinen Empfindungsweise des Dichters, bei der dramatischen Dichtung aber in der Tüchtigkeit des
Charakters der handelnden Personen sich erweisen soll: ´Eine relative Größe,´ sagt er dort, ´einen gewissen Ernst verlangen wir mit Recht von jedem Helden eines Stückes.´ Auch in der späteren (1794 erschienenen)
Recension über Matthison kehrt die Forderung der Idealität wieder, zu der das Subject mit Ueberwindung der Schranken seiner Individualität sich erheben soll. Diese Aeßerungen sind für die fernere Gestaltung der
ästhetischen Ansichten Schiller's von der höchsten Bedeutung; seine Empfänglichkeit für die Kant'schen Lehren war durch dieselben bedingt. “
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1884
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Hallesches Tageblatt 25.11.1884
Interims-Stadttheater. Dem Ernst des Tages entsprechend wurde gestern Holteis vaterländisches Schauspiel 'Lenore' gegeben. [...] Das Haus war gut besetzt, namentlich aber waren
Gallerie und Parterre geradezu übervoll. Das Publikum brachte dem Gebotenen, durch welches ein speziell preußisch-patriotischer Hauch weht, viel Dankbarkeit entgegen und galt der letzte lebhafte Applaus dem
sensationellen lebenden Bilde: 'Der Todtenritt.'"
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1884
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Der Sozialdemokrat 26.6.1884
"Nun, um Gläubige zu finden, kommt dieses Dementi um einige Jahre zu spät, wohl aber glauben wir es dem großen Kanzler gerne, daß es ihm leid thut, diese so
unübertrefflich brauchbare, so schmieg- und biegsame Partei von seiner Meute an die Wand haben drücken zu lassen. Eine solche Regierungspartei kriegt er nicht noch einmal wieder. Da helfen alle
Galvanisirungsversuche nichts. Das Zugrunderichten war Kinderspiel — mit dem Kredit der Nationalliberalen war es ohnehin vorbei — das Wiederherstellen aber wird selbst dem 'Herkules des 19. Jahrhunderts' nicht
gelingen. Hin ist hin, verloren ist verloren."
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1884
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Karlsruher Zeitung 18.6.1884
"(Der Dichter G. A. Bürger als Richter.) Es ist allgemein bekannt, ein wie wenig glückliches Leben Gottfried August Bürger, der gottbegnadete Sänger der 'Leonore', führte. Im
Jahre 1772 schien ihm ein Glückstrahl zu leuchten, denn er wurde am 1. Juli im Alter von 24 Jahren als Amtmann in Altengleichen angestellt. Doch fühlte er sich in kürzester Zeit auch hier nicht wohl. Schon am 20.
September 1772 schreibt er an Gleim: '-- Mein kleines poetisches Talent verwelkt bei meiner jetzigen Lage fast gänzlich, denn der 'Akten Gellihausen' usw.,der 'In Sachen' usw., 'Hiermit wird' usw. sind gar zu viel.
Statt 'Ich rühme mir mein Dörfchen hier' heißt es: ''Ihr Ochsen, die Ihr alle seid, Euch Flegeln geb' ich den Bescheid'' u. s. w. Trotz dieser heftigen Abneigung blieb er volle 12 Jahre im Amte. Aus dieser Zeit ist
ein großes Aktenmaterial von seiner eigenen Hand vorhanden, welches in vieler Beziehung geeignet ist, neue Aufklärungen über den merkwürdigen Charakter des Dichters zu verbreiten. Dasselbe ist neuerdings gesichtet
worden, und hat Dr. A. Leverkühn es unternommen, einiges daraus zur allgemeinen Kenntniß zu bringen. Seine Veröffentlichungen werden in der 'Deutschen Revue', herausgegeben von Richard Fleischer, erscheinen, die
schon in dem demnächst zur Ausgabe kommenden Juliheft mit einer, auch kulturhistorisch sehr interessanten Episode aus der Richterthätigkeit Bürger's beginnen wird."
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1885
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Hausrath, Adolf. Elfriede. Leipzig 1885 (hier nach Nachdruck 2011)
“[S. 56] Er war der Knappe, der die Pflicht hatte, seinen Herrn rechtzeitig herauszuhauen, dann aber in den Stall geschickt ward, während der Ritter mit seiner Dame koste. ´Knapp,
sattle mir mein Dänenroß!´ rief Nik ihm am Morgen zu, und es kam sogar vor, daß der Knappe - allerdings immer in seiner Abwesenheit - tüchtig ausgescholten ward.“
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1885
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Berliner Volksblatt 13.12.1885
"Alhambra-Theater. Wallnertheaterstraße 15. Heute und folgende Tage: Leonore, oder: Die Grabesbraut. Schauspiel mit Gesang in 3 Akten von Karl von Holtei."
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1885
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Anzeige. In: Badische Volks-Zeitung 20.12.
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1885
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Anzeige. In: Leipziger Tageblatt und Anzeiger 24.5.
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1886
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Richter, Ludwig. Lebenserinnerungen eines deutschen Malers, Frankfurt am Main.
“[S. 293] Nun ergab sich ein Uebelstand dadurch, daß mein Papa und
Vetter Böttger einander nicht besonders liebten. Der Vater war ein gutmüthiger, natürlicher, jovialer Mann, der Herr Vetter Acciseinnehmer aber spitz, geschraubt und eitel, und wenn er übler Laune war, konnte er
sehr unangenehm werden, und so entstand bald ein so gespanntes, ja feindseliges Verhältnis zwischen Beiden, daß es auch für uns junge Leutlein recht bedrückend wurde. ´Des langen Haders müde, da macht' ich endlich
Friede´, und zwar dadurch, daß ich dem Freund Oehme nachfolgte und Aufgebot und Trauung bestellte mit der Eltern Zustimmung, ja Wunsch.
[S. 298] Ungleich mißlicher waren die lieben Freunde Peschel und
Hantzsch gestellt. Ersterer arbeitete an einem kleinen Oelbilde: ´Rebekka und Elieser am Brunnen´, welches noch seht das Studium der alten Florentiner erkennen ließ. Hantzsch dagegen hatte den wilden Jäger nach
Bürger's Ballade in Arbeit, ein Gegenstand, der nicht für ihn paßte und trotz allen Mühens nicht gelingen wollte.”
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1886
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Anzeige. In: Bürgerzeitung 14.3.
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1887
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Sahr, Julius. Gottfried August Bürger und sein Wilder Jäger. In: Gottfried August Bürger und sein wilder Jäger. Zeitschrift für den deutschen Unterricht.
“[S. 515] Traurig war, als Bürger zuerst dichterisch auftrat, der Zustand unserer Litteratur in den Gebieten, wo seine Begabung lag: der Lyrik und Kleinepik. Allerdings stand Klopstock
als gottbegnadeter Sänger des Messias und als erster wahrhaft deutsch gesinnter Dichter damals in doppelter Größe da. Aber sonst wurde außerordentlich wenig von höherem Werte geleistet, wie etwa Gleims Kriegslieder
und Gedichte von Claudius. Moralische, didaktische Gedichte, Fabeln und poetische Erzählungen nahmen den breitesten Raum ein. Diese Gattungen aber genügten Bürgern nicht. Ihn begeisterte Klopstocks dichterischer
Schwung, sein echt deutsches Wesen, aber nicht seine Form. Ihm widerstrebte durchaus die abstrakte, ins Unbegrenzte gehende Wendung Klopstocks, ihm mißfielen seine reimlosen undeutschen Versformen; ihm war das
geschmacklose ´Bardengebrüll´ seiner Nachtreter verhaßt. Auch die geistigen Lieder und Oder jener Zeit, von der gemütlosen Aufklärungssucht angekränkelt, kamen für Bürger nicht in Betracht. Nur nach einer Seite
zeigte sich ein Fortschritt: in der leichten, der anakreontischen Lyrik.
[S. 517] Die schlüpfrige Seite tritt hie und da scharf hervor, wie in der ´Stutzertändelei´, ganz besonders - auf epischem Gebiete -
aber in dem 1770 entworfenen Gedichte ´Raub der Europa´, das durchaus in den Bahnen der widerlichsten Romanzenmacherei wandelt, nur von hier aus zu verstehen und mit ihr zu verwerfen ist. Recht glutvoll zeigt sich
Bürgers Sinnlichkeit in den Gedichten ´Die beiden Liebenden´ und ´Das vergnügte Leben´, zarter, obwohl immerhin nicht angenehm, in dem sonst reizenden Gedicht ´Mein Dörfchen´ - alle drei nach fremden Mustern.
Auch in der Zeit größeren Ernstes ist Bürger hin und wieder in den gemeinen oder grobsinnlichen Ton verfallen, gleich als ob diese Seite in ihm, wenn sein edleres Selbst sie zurückgedrängt hatte, sich einmal
wieder austoben müsse; ´Die Menagerie der Götter´, ´Fortunens Pranger´ leisten hierin das Widerlichste, ´Veit Ehrenwort´, ´Der wohlgesinnte Liebhaber´ gehen, wenn auch lange nicht so niedrig, doch auch über das Maß
des Erlaubten hinaus, sind freilich im übrigen nach Form und Inhalt dem Dichter gut gelungen. Selbst in vortreffliche, hochernste Gedichte schleicht sich hie und da ein stark sinnliches Bild, ein unzarter Ausdruck
ein.
[S. 518] Eine wichtige Seite von Bürgers Lyrik, die Liebesdichtung, findet bereits in den Jahren 1770-73 eine eigenartige und schöne Vertretung in den Minneliedern, zu denen ihn wohl die
altdeutschen Minnesänger anregten. Die Gedichte ´Adeline´, ´Gabriele´, ´Winterlied´, ´Minnesold´, ´Gegenliebe´, ´Himmel und Erde´ schlagen einen für jene Zeit neuen, unerhörten Ton an. Hier ist liebliche Reinheit in
Gedanken und Empfindungen mit Innigkeit und Frische aufs Glücklichste gepaart. Hier verrät sich unverkennbar die Glut eines warm schlagenden edlen Herzens, hier spricht Seelentiefe und Geisteshoheit überzeugend und
stark. Ihnen schließen sich die späteren Liebesgedichte an, die meist der Verherrlichung Mollys gewidmet sind. Sie tragen sämtlich das Gepräge einer glühenden Leidenschaft, die sein ganzes Sein erfüllt, ja oft seine besseren Grundsätze übertäubt. Zum Teil sind auch sie von der Leichtigkeit und Anmut der jugendlichen Minnelieder, wie z.B. ´Ständchen´, ´Trautel´, ´Das Mädel, das ich meine´, ´Liebeszauber´. Männlicher, verzehrender tritt in andern die Leidenschaft auf, z.B. in ´Abendphantasie eines Liebenden´, ´Die Umarmung´, ´Untreue über Alles´ - oft aber klingt in ihnen der tiefe Schmerz, der Kampf durch, der sich seit 1774 dem Liebesglück unzertrennlich zugesellte und in dem sich Bürgers Geistes- und Seelenkraft zum Teil aufrieb. Bald tritt der Schmerz abgeklärt als Zug tiefergreifender Wehmut auf, wie in dem unvergleichlich schönen ´Blümchen Wunderhold´ und in den Sonetten; bald bricht er mit elementarer Leidenschaft hervor, wie in der ´Elegie´, bald mengt er sich mit einem gewissen Vorwurf gegen die Menschen, die sein Verhältnis zu Molly verurteilen, wie in dem Gedicht ´An die Menschengesichter´ und in der Elegie".
[S. 519] Dem Gedichte ´Männerkeuschheit´ nahe verwandt ist ´Der große Mann´, in derselben kernigen, kraftvollen Art verfaßt wie jenes. Hier tritt aber ein neues Element hinzu, das ebenfalls eine wichtige
Rolle in Bürgers Dichtung spielt. Trotzig und selbstbewußt stellt sich hier der Dichter mit seiner Ansicht vielfach herrschenden Meinungen entgegen. Wir kennen diese seine Art schon aus der Theorie über die
Dichtkunst. Was er in dem Gedicht ´Der große Mann´ äußert, berührt sich innig mit dem mächtigen Gedankenkreise, dem wir bei Betrachtung des ´Wilden Jägers´ näher treten werden.
[S. 523] In die erste Gruppe [nieder oder mehr schwankartige Gedichte]
gehören: ´Raub der Europa´, ´Menagerie der Götter´, ´Fortunens Pranger´; ´Der Ritter und sein Liebchen´; ´Veit Ehrenwort´, ´Der wohlgesinnte Liebhaber´; ´Der Raubgraf´; ´Die Weiber von Weinsberg´ und aus der Gruppe
der Nachbildungen besonders ´Frau Schnips´ und ´Der Kaiser und der Abt´. Man sieht aus diesem Verzeichnis, daß der Ausdruck ´niedere´ an und für sich kein Tadel sein soll. Alles, was einen niederen,
leichtfertigen oder überhaupt einen leichteren, komischen oder derb-humoristiechen Charakter trägt, ist hier vereinigt. Über eine gewisse niedrig gezogene Grenze ragt keines dieser Gedichte hinaus. Keines erhebt
sich in das Gebiet der reinen, höheren Dichtkunst, oder in das eines ergreifenden Ernstes. Diese Gedichte wollen und sollen nichts anderes sein, als Werke leichterer Art, nichts als Schwänke. Ihr Gegenstand ist
entweder schon an sich schwankartig oder er ist durch seine Behandlung in dieses Gebiet gezogen. Es erinnern diese Gedichte lebhaft an die Erzeugnisse, die in unserer älteren Litteratur zur Zeit der Reformation und
vorher blühten, wo es nicht verschmäht wurde, auch einmal heilige Dinge und Personen in das Bereich des Lächerlichen, ja Unartigen zu ziehen. Von hier aus betrachte man diese Dichtungen Bürgers und nicht von dem
allzu zimperlichen Standpunkte des heutigen gesellschaftlichen Anstandes. Bürger gefiel sich in einer gewissen Kraft und Derbheit des Ausdruckes; er ist darin durchaus ein Kind der Geniezeit, und es ist nicht zu
verkennen, daß durch seinen Vorgang mit die frische Laune des Volkes, das burschikose Wesen übermütiger Jugend Eingang in die Litteratur gefunden hat. Im Tone freilich sind diese Gedichte
untereinander himmelweit verschieden. Es versteht sich, daß, wenn wir Derbheiten in Schutz nehmen, wir nicht von der lüsternen, ja gemeinen Art reden, die in den drei ersten der obengenannten Gedichte herrscht. Wir
nehmen aber Partei für die Gattung als solche, und, in gewissem Sinne, auch für die Gedichte ´Der Ritter und sein Liebchen´, ´Veit Ehrenwort´ und ´Der wohlgesinnte Liebhaber´. Wenigstens kommen diese Gedichte in
ihrer Form dem Volkliede ziemlich nahe. Ausdruck, Bewegung des Ganzen, Rede und Gegenrede ist besonders in dem Gedichte ´Der Ritter und sein Liebchen´ so vortrefflich volksmäßig, daß der leichtsinnige Grundzug
dieses Gedichts tief zu beklagen ist. [...] In der ´Frau Schnips´ geht Bürger mit einem gewissen Behagen in Derbheiten sehr weit - aber etwas im Grunde sittlich Anstößiges, wie bei den vorherbesprochenen Balladen,
können wir hier nicht finden, ja der Schluß versöhnt und mit jenen Auswüchsen. Die Apologie freilich ist unnötig und unschön.
[S. 525] Bürger ist kein Übersetzer im gewöhnlichen Sinne, auch keineswegs einer nach Art Herders. Er verpflanzt meist die ganze Begebenheit, die Personen, die Sitten und Anschauungen aus dem völkstümlich-fremden in den volkstümlich-deutschen, oder besser in den Bürgerischen Boden um. Seine Naturanlage, sein Verständnis geht nur nach einer Seite: dem deutsch-volkstümlichen Wesen, wie er es aus eigener Erfahrung kannte. Innerhalb desselben ist seine Fähigkeit allerdings unbegrenzt und da stehen ihm alle Töne zur Verfügung, - aber aus diesem immerhin engumgrenzten Gebiete kann er nicht heraus. Sein innerstes Wesen fühlt sich eins mit dieser, der Anschauung des Volkes. Seine ganze Seele ist davon erfüllt, nichts anderes hat in ihr Raum. Sich an etwas, was nicht mit seiner subjektiven Anlage zusammenfällt, angleichen, etwas anders geartetes, von seinem Wesen verschiedenes nachbilden: das kann er nicht. Daher nimmt er - bei jeder Übertragung - das fremde Erzeugnis einfach herüber und setzt es in den Boden, woraus er selber alle Kraft zieht. Ist jener fremde Boden diesem ähnlich: gut, so wird die Übertragung vortrefflich und macht völlig den Eindruck einer Dichtung, die aus seinem eignen Geiste stammt. Ist das nicht der Fall, so muß die Übertragung gänzlich mißglücken.
[S. 526] ´Das Lied vom braven Manne´ und ´Die Kuh´ haben neben ihrem dichterischen Werte noch einen anderen: sie waren damals die ersten bedeutenden Versuche, Vorkommnisse des täglichen Lebens für die ernste
Balladendichtung zu verwerten. Diese kühne Neuerung entsprach auch Bürgers Eigenart. Anstatt, wie es hergebracht war, die Begebenheit örtlich und zeitlich aus möglichster Ferne zu nehmen oder in sie zu versetzen,
greift Bürger hinein ins volle Menschenleben, in die Gegenwart, in die Verhältnisse, die ihn umgeben. Nicht zufällig entstammen diese seine Helden den bürgerlichen oder bäuerlichen Kreisen, den damals geknechteten. [...] Hier [Die Kuh] hielt er sich auch fern von der Übertreibung, die seine dichterische Technik oft zur Manier macht. Die Ballade ist ein Muster schöner, volkstümlicher Behandlung eines scheinbar dürftigen Stoffes. Bürger verstand es, einem unscheinbaren prosaischen Vorkommnis höhere dichterische und menschliche Weihe zu geben. [...]
Eine ganz neue Welt erschließt sich uns in den drei Balladen ´Lenore´, ´Der wilde Jäger´, und `Des Pfarrers Tochter von Taubenhain´. Hier entwickelt sich Bürgers ganze Größé und geniale Kraft vor
unsern Augen, und zwar nicht zu Äußerlichkeiten und zur Manier hingerissen, wie in seinen Nachbildungen, sondern gezügelt von Besonnenheit. Seine Kraft ordnet sich hier dem hohen Zwecke der Dichtung unter. Diese
drei Werke stehen wie granitne Säulen in unserer Litteratur da: unzerstörbar und unerreicht! So verschieden sie nach Stoff und Charakter im einzelnen auch sind, sie haben eine Reihe wichtiger
Berührungspunkte. Sie sind insgesamt tragisch und ergreifend im höchsten Grade; sie gehören, ihrem Stoffe nach, in das Gebiet der vaterländischen, romantischen Sage, die sie zuerst in großartiger Weise für die
Dichtung verwerten. Sie berühren sich innig mit den geheimnisvollen Mächten unserer Seele, unseres Gemüts: dem Glauben und dem Aberglauben. Das Geisterhafte steigert sich in ihnen zum Grausigen. Neigung und Absicht
führten Bürger dazu, der Welt des Aberglaubens und der Sagen so große Wichtigkeit beizumessen. Er erkannte in dem Aberglauben, den Sagen und Märchen des Volkes die Tiefe des Volksgemütes, er fand darin heilige,
stillwirkende Gesetze, denen wir alle, bewußt oder unbewußt, unterworfen sind. Für ihn war das Wesen des Volkstümlichen untrennbar von diesem Aberglauben, neben dem recht gut der religiöse Glauben bestehen konnte.
[S. 528] Die drei Gedichte müssen mit dem höchsten Maßstab gemessen werden. Sie sind künstlerisch schön in sich abgerundet; allen drei liegt ein tiefer ethischer Gedanke zu Grunde.
[S. 529] Ein Zug
mächtig dahinschreitender Größe spricht aus diesen Gedichten. Ihre Handlung eilt rasch und unaufhaltsam dahin; die hochgesteigerte Spannung, die sie erzeugen, läßt den tragischen Ausgang ahnen. Die Schilderung der
Charaktere und der Gegenden ist meisterhaft und bis zur vollen Lebendigkeit und Naturwahrheit herausgearbeitet; Kraft und Wohllaut der Sprache sind unübertrefflich - all dies zusammen ergiebt bei diesen Gedichten
ein Ganzes, dem in der Balladenpoesie nach Bürger an Gewicht wenig gleichkommen dürfte.
[S. 530] Bürger ist ein kühner Neuerer. Armselig, dürftig war die Lyrik und Kleinepik, als er auftrat. Reich und
vielseitig ging sie aus seinen Händen hervor. Als er anfing zu dichten, standen die größeren Massen des Volkes, sogar viele Kreise der gebildeten der Poesie gleichgiltig gegenüber. Die Teilnahme an seinen Dichtungen wurde den weitesten Schichten des deutschen Volkes zu einer Herzenssache. Nicht er allein bewirkte diesen gewaltigen Aufschwung, er hatte viele Mitstrebende, darunter einige, größer als er: Goethe und Herder. Doch als Bahnbrecher braucht er ihnen nicht zu weichen. Er begründete die deutsche Balladendichtung und baute sie zugleich nach allen Seiten hin aus: der tragisch-romantischen, der bürgerlichen und der humoristischen. Auch die Neubelebung des deutschen Sonettes - wenigstens wie Bürger es auffaßte und pflegte - mag immerhin als ein bedeutendes Verdienst gelten.
Alles was Bürger erstrebte und erreichte, that er im engen Anschluß an das Heimische und Volkstümliche. Hier liegt der springende Punkt, das Geheimnis seines Denkens und Dichtens. Seit
1773 war ihm diese Offenbarung aufgegangen, er hängt noch daran, gläubig, am Ende seiner Laufbahn, als sein Leben und Dichten sich umnachten. Obgleich er in der Theorie die Anregung von Herder empfing, und ihm in
der Ausübung Goethe vielleicht auf einigen Gebieten überlegen war, hat keiner von ihnen Klarheit der Grundsätze und eignes dichterisches Können so vereinigt wie Bürger, hat überhaupt keiner seiner Zeitgenossen seine Glaubenssätze sein Leben lang so nachdrücklich bekannt und unermüdlich verfochten. Bürger will erstens stets deutsch und vaterländisch sein, d.h. gegen alles Fremde und Undeutsche - er will zweitens volkstümlich sein, d.h. gegen alles Gelehrte, Unverständliche, Tote und Abstrakte.
[S. 531] Wenn wir Bürgers unablässige Bemühungen sehen, den Grundzug der Volksposie herauszufinden, ihre ganze Tiefe zu ergründen und in seine Dichtung hineinzulegen, so kommt uns die doppelte Frage: Ist er
theoretisch zum vollen Verständnis der Volksdichtung gekommen und hat er in seiner eigenen Poesie den Kern des Volkstümlichen getroffen? Nach seinen dichterischen Werken zu urteilen, gelangte er weder zum unerschütterlichen Bewußtsein des wahren Wesens der Volkspoesie, noch verkörperte er dasselbe durchweg rein und ungetrübt in seinen Gedichten. Wohl vermochte er es zu empfinden, ja nachzubilden; es war seiner inneren Anlage nahe verwandt, aber er lebte offenbar in dem Irrtum, das Grausige sei in der ernsten volkstümlichen Ballade das Wesentliche. Dies beweisen deutlich seine drei großen tragischen Balladen. Dies zeigt sein Wahn, den übrigens Herder teilte, ´Lenardo und Blandine´ sei sein vollendetstes Gedicht, dort habe er das Volkstümliche am wahrsten getroffen. Dies zeigt endlich der Umstand, daß er mit Herders Art, fremde Volkslieder zu verdeutschen und die Volkspoesie aufzufassen, nicht einverstanden ist.
[S. 536] Bürger scheint die Wendung der Zeit weniger bemerkt zu haben. Er ward erst grausam aus seinem Dichten und Sinnen gerissen, als der neue Zeitgeist in Gestalt Schillers rauh und verwüstend in sein
Allerheiligstes griff. Selbst die so gerechtfertigte Bitte Bürgers um Schonung seiner Person wurde nicht beachtet. Mit dem Dichter zugleich sollte der Mensch fallen. Schillers Rezension hat an Ungerechtigkeit und
Lieblosigkeit kaum ihresgleichen in unserer Litteraturgeschichte. und warum diese Schärfe Schillers gegen Bürger, da sich leicht nachweisen ließe, daß beide in höchst wichtigen Punkten ihrer Lehre - und ihres
Lebens! - übereinstimmten. Bürger siechte von nun an dahin, er ward an ich selbst irre. Doch umsonst hat er nicht gelebt! Sein Wirken hat tiefe Spuren in unserer Litteratur hinterlassen. Der danals
scheinbar Besiegte war doch im Grunde der Sieger. Das zeigte die Folgezeit. Nicht zufällig knüpfte die Romantik durch Wilhelm Schlegel persönlich und sachlich an Bürger an. Die Romantik hat das unzweifelhafte
Verdienst, den Alpdruck des antiken Kunstideals von der deutschen Brust genommen zu haben, so daß sie wieder frei atmen konnte. Die Germanistik und die Dichtung der Freiheitskriege hängt mit der Romantik innig
zusammen. Nun wurden die Träume Herders und Bürgers verwirklicht. Neben Herder hatte vor allem Bürger den Mut gehabt, in jener vaterlandslosen und undeutschen Zeit nicht zu wanken. Bei weitem nicht
alle seine Dichtungen sind vollendete Werke: aber sie zeigen doch den Weg, wo der Dichter auf heimischem Boden hohe Aufgaben und volle Befriedigung finden konnte. Sie wandeln auf gesunden Bahnen. Jedenfalls gehörte
sittlicher Mut dazu, damals bei jener Ansicht zu bleiben, und persönlicher, sie in gefahrvoller Zeit zu verfechten.
[S. 541] Es scheint, daß an und mit der Arbeit am ´Wilden Jäger´ sich gewissermaßen seine
Ansicht über die Volkspoesie ausgebildet und ausgereift habe. Aus der Theorie zieht er die Nutzanwendung auf das Gedicht, und aus diesem heraus gewinnt er wieder neue Gesichtspunkte für die Theorie. Mit keinem
seiner Gedichte war seine lebhafteste Anteilnahme so innig und so viele Jahre hindurch verknüpft. Der Wert des Gedichtes entspricht vollkommen der Wichtigkeit, die Bürger der Ballade beimißt. Der
´Wilde Jäger´ vereinigt eine Anzahl wesentlicher Vorzüge Bürgers in höherem Maße als die ´Lenore´ oder irgend ein andres Gedicht. Er ist mit der ´Lenore´ zusammen ein sprechender Beweis davon, wie hoch Bürger die
Bedeutung des Volksaberglaubens anschlägt: Er ist die geniale Verkörperung einer volkstümlichen Sage. Bürger hat diese Sage mit der ganzen Kraft, die ihm zu Gebote stand, in die Höhe dramatisch-tragischer Behandlung
gehoben. Er hat die Begebenheit selbständig aufgefaßt, vertieft, eine Menge fein durchdachter einzelner Züge hineingebracht und sich so bestrebt, den Gegenstand möglichst erschöpfend und abschließend darzustellen.
[S. 542] Bürgers Balladenstil, seine Formvollendung, seine vortreffliche Art, das Zwiegespräch zu behandeln und auszunutzen, dies alles kommt in der Ballade schön zur Geltung. Auch in der Klangmalerei geht
Bürger sehr weit; wie obige Briefstellen beweisen, mit vollem Bewußtsein. Wir können nicht finden, daß er über der Liebe zur Klangmalerei den hohen Zweck des Gedichtes oder die Einheit des Tones und der Handlung
vernachlässigt habe. Alle Einzelheiten, die sie hervorhebt, stehen im Dienste des scharf ausgeprägten Grundgedankens. Die ganze lebensvolle Ausführung soll offennbar dazu dienen, um dem Treiben des Grafen den
Stempel schlagender Naturwahrheiten zu geben. Die Charakterzeichnung des Grafen gilt von jeher als ein Meisterstück. In ihm, sowie in dem Junker von Falkenstein und dem Junker Plump von Pommerland hat
Bürger Vertreter des entarteten Adels geschildert - im Lied vom braven Manne das Gegenteil. Die Gestalt des Wildgrafen ist nicht ohne Größe - aber es ist eine wüste, ja teuflische Größe. Seine Seele ist nicht jeder
besseren Regung überhaupt unfähig, wird aber ganz beherrscht durch die gewissenlose, rohe Art, wie die Jagdleidenschaft ins tierische übergeht. Nun tritt er alles menschliche und göttliche Recht mit Füßen und glaubt
die Berechtigung dazu aus dem Standesunterschiede zwischen ihm und seinen Untergebenen ziehen zu können. Die Leidenschaftlichkeit, die der wilde Jäger dabei zeigt - ´Verderben hin, Verderben her´ - ist ein echter
Zug aus Bürgers eignem Wesen. Wie oft erlebte er schmerzlich an ich selbst, daß sein vom Sinnlichen mächtig erregtes Gefühl alle Einwände des Verstandes, alle Grundsätze übertäubte! Man denke an den Ausbruch der
Verzweiflung in der ´Elegie´ - an Lenore, die sich auch im Übermaß ihrer Leidenschaft, wie der wilde Jäger, zur Gotteslästerung hinreißen läßt; man denke an jenen Bief, wo Bürger, im höchsten Schmerze über den
Verlust seiner Molly in ganz ähnliche Worte ausbricht.
[S. 544] Das Gedicht soll ein Spiegel sein, der dem sittlich heruntergekommenen, rohen und dabei anmaßenden Teil des damaligen Adels warnend vorgehalten
wird. Bürger selbst lebte in der drückendsten Abhängigkeit von der alten Familie derer von Uslar, die ihm seine Stellung vergällt haben, so daß er sie endlich aufgab. Er hatte jedenfalls Fälle beobachten können, wo
auf ähnliche gewaltsame Weise in das Recht anderer eingegriffen wurde. Dieser Adel, der Menschenrechte anderer weder kannte noch achtete, pochte noch anmaßend auf altüberlieferte Standesrechte, deren er längst nicht
mehr würdig war. Bürger versetzte ja die Geschichte vom ´Wilden Jäger´ in die Vergangenheit, aber wir müssen doch wohl annehmen, daß zu seiner Zeit ein ähnliches Mißverhältnis vorhanden war zwischen den angemaßten
Rechten des Adligen und dem Selbstbewußtsein der Abhängigen und Geknechteten, die schwer litten. Es ist nicht richtig, dem Dichter vorzuwerfen, er habe sich im ´Wilden Jäger´ von Partei- und Adelshaß blind leiten
lassen, wie Gruppe thut.Nicht so ist es aufzufassen. Allerdings ist der ´Wilde Jäger´ das bedeutendste Gedicht, welches in diesen Gedankenkreis gehört. Aber diese Gesinnung stört weder die Wahrheit der Zeichnung,
noch die dichterische Einheit des Ganzen, sie drängt sich nicht störend hervor, sondern paßt der Sache und dem Tone nach durchaus in dieses Gedicht.
[S. 547] Wir können ruhig zugeben: den Herzensanteil
vermögen wir dem ´Wilden Jäger´ nicht entgegenzubringen, den wir der ´Lenore´ und der ´Pfarrerstochter´ widmen. Diese schlagen mehr an die weibliche, die Gefühlsseite unsres Innern an. Dafür aber ertönen im
´Wilden Jäger´ mächtiger und gewaltiger denn sonstwo starke männliche Klänge und erheben unseren Geist in die Höhen der erhabensten Menschengüter und -Rechte. Dies dünkt uns kein geringer Verdienst als jenes. Beide Seiten unserer Natur muß der wahre Dichter vertreten, denn beide sind in einem natürlich und voll entwickelten Menschen lebendig!
So gewinnt man aus dieser Betrachtung die Überzeugung: Auch in dieser Hinsicht ist Bürger ein Geistesriese. In alledem, was jene Zeit Großes und Gesundes hat, steht er auf der Höhe seiner Zeit. Er
verkörpert nicht nur das Schöne und Reizvolle, sondern auch das Hohe und Gewaltige, was damals alle Geister mächtig ergriff, in genialer, lebendiger Weise; er ist, trotz all seiner Fehler, ein herzens- und
geisteskundiger Mitarbeiter an der Befreiung der Menschen von unwürdigen Fesseln, ein Führer auf der Bahn zu höherer Vollkommenheit.”
Der vollständige Beitrag in der ONLINE-BIBLIOTHEK
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1887
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Sahr, Julius. Bürger als Denker und Dichter. In: Gottfried August Bürger und sein wilder Jäger. Zeitschrift für den deutschen Unterricht.
“[S. 120] Schiller hat Bürger Mangel an Idealismus vorgeworfen. Der abstrakte Idealismus Schillers fehlte ihm allerdings. Bürger wurzelte zu tief in den menschlichen, sinnlichen
Seiten unserer Natur. Umsomehr verdient es unsere Anerkennung, daß er sich in seinem Dichten wie in seiner Theorie darüber auf eine Höhe schwingt, zu welcher der begeisterte Herder aus ganz anderem inneren Triebe
gelangte. Gewiß giebt Herder Schiller oder sonst einem großen Idealisten an idealer innerer Anlage nichts nach. Auf wie ganz anderem Boden stand Bürger!
[S. 123] Die Frage, woher und woraus sich denn Bürger
seine Ansichten über Volkspoesie bildete, muß dahin beantwortet werden, daß ihn zunächst Liebe zur Natur, Bibel und Gesangbuch in seiner natürlichen Hinneigung zum Volkstümlichen bestärkten. Er lernte aber auch
selbst in der Gegend, wo er lebte, genug lebendige Volkslieder und Volkssagen kennen.
[S. 136] Viele Kreise der Bevölkerung, die jetzt selbständig sind, politische Rechte ausüben, denen jetzt Mittel und Wege zu Amt und Ehren offenstehen, waren damals rechtlos und wurden
mit Verachtung von den höheren, bevorzugten Kreisen behandelt. Ihrer nimmt sich Bürger zunächst in edlem Eifer an, schon deshalb, weil er erkannte, daß in ihnen vielfach mehr gesunde Natur zu finden war, als in
jenen. Man wird daher zunächst richtig annehmen, daß Bürger mit ´Volk´ öfters, im Gegensatz zu den höheren und gelehrten Klassen, welche sich vornehm und vorurteilsvoll vom deutschen und volkstümlichen Wesen
abschlossen, mehr die mittleren und unteren Schichten der Bevölkerung meint. Aber bei einer so engherzigen Auffassung bleibt Bürger, der scharfe Denker, nicht stehen. Daß er zunächst mehr die mittleren und unteren
Kreise im Auge hat, ist nur das Zufällige in seinem Begriff Volk. Das Wesentliche darin, das, was den Begriff ausmacht, ist, wie sich schon aus dem vorhergehenden klar ergiebt, folgendes: Alle diejenigen soll der Begriff Volk einschließen, die in ihrer Art zu handeln, zu denken, zu empfinden, die in Ausdruck und Sprache nicht von Standes- oder geistigen Vorurteilen, von undeutschen Grundsätzen eingeschränkt, sondern noch natürlich, unverbildet, unverdorben und deutsch geblieben sind. Dieser Begriff umfaßt in gleicher Weise viele aus den höheren Kreisen, wie er viele aus den mittleren und niederen ausscheidet: nämlich die rohen, gemeinen, unvernünftigen Elemente, die keiner höheren, edleren Regung fähig sind. Nur so kann Bürgers Wort verstanden werden: ´In den Begriff des Volkes aber müssen nur diejenigen Merkmale aufgenommen werden, worin ungefähr alle, oder doch die ansehnlichsten Klassen übereinkommen´.
[S. 139] Versuchen wir es, die Kernpunkte der Bürgerschen Lehre von der Dichtung kurz zusammenzufassen, so dürfte es vielleicht in folgenden Sätzen geschehen: Soll die Poesie wahre, echte Poesie sein, so
darf sie ihres hohen edlen Zweckes nie vergessen. Dieser kann nur dann erfüllt werden, wenn alle Menschen an ihren Segnungen Anteil haben. Um zu diesem Ziele zu gelangen, muß die Poesie zwei Gesetzen zugleich folgen: dem der Natur und dem des Geschmackes.
Dem der Natur nicht allein, denn der Geschmack muß das Unedle und Ungesunde, was die Natur hie und da bietet, sobald es dem hohen Zwecke der Dichtung widerstreitet, aus dieser verbannen; dem Geschmack nicht allein,
denn er kann sich zeitweise von der Natur, dem Wahren, Gesunden, dem Sinnlichen, Anschaulichen entfernen. Die Natur findet ihren gesunden unverdorbenen Ausdruck im Volk, der Geschmack den seinen in dem gebildeten Publikum, den Edeln des Volkes. Natur und Geschmack streben also auf dasselbe hinaus: wahre
Dichtung muß mithin beiden zugleich folgen.
[S. 142] Bürger wie Herder, beide klagen fortwährend über die falsche Auffassung ihrer
Ansichten und die elende Romanzenmacherei. [...] Freilich hatte diese Romanzenmacherei ihre tiefere geschichtliche Wurzel und ließ sich nicht so leicht ausrotten. Sie verquickte sich nun mit der neuen
durch Herder und Bürger in Deutschland eingeführten volkstümlichen Balladen- und Liederdichtung zum Verderben der guten Sache. Denn wiewohl es natürlich Männern wie Bürger und Herder einleuchtete, daß ´die neue
Romanzenmacher- und Volksdichterei .. mit der alten meistens soviel Gleichheit hat als der Affe mit dem Menschen´, denn ´das Leben, die Seele ihres Urbilds fehlt ihr ja, nämlich: Wahrheit, treue Zeichnung der Leidenschaft, der Zeit, der Sitten´
(Herder ´Volkslieder´ 1778), so ward dennoch für viele beides eins. Mit tiefer Verstimmung sahen beide Männer ihre heiligsten Überzeugungen in den Staub des Gemeinen gezogen, ihr reinstes Streben verkannt und
vernichtet. Diese Verstimmung brach sich deutlich Bahn in ihren späteren Äußerungen, 1778/79 in Herders ´Volksliedern´, 1789 in Bürgers Vorrede. Ja, diese Verkennung hat Bürgers Lebensabend vergiftet. Sie sahen das
Rad dem Abgrunde zurollen; und als Goethe und Schiller mit ihren genialen Dichtungen auftraten, als das hellstrahlende Licht dieser neuen Sonnen alles andere verdunkelte, als beide sich vom deutschen ab und dem antiken Kunstideal zuwandten, da verschlang der Abgrund der Vergessenheit - freilich auf kurze Zeit - die so edel begonnenen, vielversprechenden Bestrebungen um eine wahrhaft volktümliche deutsche Dichtkunst.”
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1887
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Sahr, Julius. Bürgers Leben und Charakter. In: Gottfried August Bürger und sein wilder Jäger. Zeitschrift für den deutschen Unterricht.
“[S. 32] Leicht erkennbar heben sich aus Bürgers Leben die Schwächen seines Wesens hervor: vor allem der Mangel an dem ewig gleichen sittlichen Halt. Nicht als ob dem Dichter das
Gepräge einer edel angelegten, männlich starken Natur fehlte - sein Kampf gegen seine Liebe zu Molly, sein Mut in der Äußerung seiner politischen Ansichten (z.B. in der Vorrede zu seinen Gedichten vom Jahre 1789)
und gar manches Gedicht, z. B. Männerkeuschheit, sind Beweis genug dafür. Sein ganzes Wesen strebte vielmehr zum Höheren, Strengeren, Ewigen empor, er rang mühselig darnach wie ein Mann, aber er besaß neben diesen
edlen Naturanlagen eine zu leidenschaftliche Sinnlichkeit, ein Unvermögen, dem sinnnlichen und menschlichen Teile seiner Natur dauernd Fesseln anzulegen.
[S. 33] Woraus entsprang nun die so übermächtige Sinnlichkeit Bürgers? Vor allem aus einer zu großen Lebhaftigkeit der Einbildungskraft. Diese war für ihn eine mächtige Zauberin, die ihm nicht nur alles
Gesehene, sondern auch das nur gedachte so sinnlich, so greifbar und anschaulich vor sein geistiges Auge stellte, daß es den Eindruck einer mächtig wirkenden Sinneswahrnehmung machte. Seiner Natur widerstrebte
nichts so sehr als das Abstrakte.
[S. 35] Diese Empfänglichkeit Bürgers für die von außen kommenden oder von außen angeregten Eindrücke im Verein mit der guten und edlen Naturanlage erklärt manche andere
Seite seines Wesens. Sein feines Kunstgefühl, sein Auge und Ohr für Farbe, Ton, Klang, sein religiöser Sinn, sein Verständnis für die Schönheit und Größe der Natur, sein Erfassen der menschlichen Charaktere, wie
seine Begeisterung für die edle Größe der Menschen kann nicht Wunder nehmen. Niemand erkannte herzlicher fremdes Verdienst an: um der Schönheit und Größe der Werke selbst willen mußte er diese lieben und bewundern.
Dabei floß Neid, Haß, Mißgunst oder sonst ein niederer gemeiner Zug nie mit unter. Bürger kannte überhaupt kein Falsch und keine Verstellung, sondern war eine offene, biedere Natur, und wenn er auch hie und da nicht
die volle Wahrheit gesagt hat, so geschah dies gewiß nicht, um betrügerisch zu täuschen, sondern aus Nachlässigkeit und Flüchtigkeit, zu der er in mehrfacher Hinsicht neigte.
[S. 36] Die Derbheit, die
manchmal bedenklich ans Rohe und Gemeine streift in Bürgers Gedichten, Briefen u.s.w., seine hie und da grobe Genußsucht waren nicht bloß eine Angleichung an gewisse niedere Volksklassen, aus deren Anschauungsweise
er sonst manches Wertvolle entlehnt hat, auch nicht bloß ein Zoll an jene Seite der allgemeinen menschlichen Natur, deren Ton in der Scene in Auerbachs Keller in so unnachahmlicher Weise angeschlagen ist, sondern
sind sicher auch zum großen Teil mit auf die Rechnung der Geniezeit und Genieunarten zu setzen, in denen sich ja auch Goethes und Schillers Jugendwerke gefallen. Bürgers Anlage paßte in ganz eigener Weise zu diesem
Tone.
[S. 37] Was Bürgers äußere Lage betrifft, so ist er, trotz seines Fleißes und seiner ununterbrochenen Thätigkeit doch nie auf einen grünen Zweig gekommen. Er war dazu zu unpraktisch, verstand nicht zu
wirtschaften und mit dem Gelde hauszuhalten, weshalb ihm auch alles, was er unternahm, in dieser Hinsicht mißlang oder ihn in große Schwierigkeiten verwickelte. Seine Leichtgläubigkeit und Bereitwilligkeit anderen
zu helfen, mag auch manchen Mißbrauch seiner Güte herbeigeführt haben. Zudem scheint auch, daß seine erste Frau keine gute Haushälterin war.”
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1887
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Baumgart, Hermann. Handbuch der Poetik. Stuttgart. 1887. [Hier entsprechend dem Nachdruck Georg Olms Verlag AG, Hildesheim 2003]
“[S. 52] Ein sehr interessantes Beispiel ist Bürgers ´dem Altenglischen nachgedichtete´ Ballade ´Graf Walter´, welche zwar alle Merkzeichen der echten Volksballade an sich
trägt, aber durch die übel angebrachte Sorgfalt des alle Gelegenheit zum Effekt ausnutzenden Dichters allenthalben in epische Breite gewandelt und mit störenden Detail belastet.
Eben wegen seiner Anlehnung an den alt-englischen Volksgesang ist Bürger in einigen seiner Dichtungen der echten Ballade nahe gekommen, doch bleiben auch diese auf der Grenze stehen. Der ´wilde Jäger´ ist solch ein Stück; wie die Sage jener fürchterlichen Ausartung der Jagdlust entsprungen ist, die unter all seinen unerträglichen Lasten den mittelalterlichen Bauernstand am heftigsten empörte, so ist es dem Dichter in der That gelungen, jenen bis zum grausigen Wahnwitz erhitzten, wildesten Frevelmut in ergreifender Nachahmung darzustellen, aber doch nur an einzelnen Stellen. Statt nach dieser einzigen Richtung auf sein Ziel loszugehen, hierzu alle stärksten Züge, in kürzester Andeutung zusammengedrängt, zu vereinigen, alles andere ganz fortzuwerfen oder höchstens durch ein Wort dem Hörer ins Gefühl zu rufen, bringt er neben der ausgeführten Haupthandlung noch eine ganze Reihe von Nebenhandlungen in nachdrücklich eingehenstem Vortrage vors Auge und zerstreut damit das Interesse nach den verschiedensten Gesichtspunkten, so daß in solchem Zusammenhange der breit moralisierende Schluß freilich nichts Auffallendes mehr hat, so sehr er dem Wesen der Ballade widerspricht.
Auch die ´Lenore´ verdankt ihre weit hervorragende Stellung dem vorwiegend lyrischen Stimmungscharakter und Sangeston des Ganzen, dessen schattenhafte Vorgänge, ganz ohne eigentliche
(innere) Handlung, nur Seelenzustände zu vergegenwärtigen dienen sollen. Will man recht klar erkennen, was das bedeutet, so vergleiche man mit diesen Gesängen Stücke wie die ´Entführung´ (´Knapp', sattle mir mein
Dänenroß´) oder ´Des Pfarrers Tochter zu Taubenhain,´ oder ´Das Lied von Treue,´ in welchen in der That Handlung, und zwar um ihrer eigenen epischen Bedeutung willen, bei dem letztgenannten vielleicht wegen der
anekdotenhaften Schlußwendung, nachgeahmt ist. Aber dennoch! wie weit steht auch Bürgers ´Lenore´ von der alt-schottischen Ballade ab, welche einen ähnlichen Inhalt, die todbringende Gewalt bis ins Grab getreuer
Liebe, unendlich viel reiner, tiefer und wahrer ausdrückt. Es ist das schöne Lied ´Wilhelms Geist´in Herders ´Stimmen der Völker´, das achte im dritten Buche:
Da kam ein Geist zu Gretchens Thür Mit manchem Weh und Ach! Und drückt' am Schloß und kehrt' am Schloß
Und ächzte traurig nach. [...] Nicht allein, daß hier vermieden ist, was in
Bürgers ´Lenore´ so sehr verletzt: die Roheit des Ausdrucks und die maßlose Heftigkeit in den Aeußerungen des Schmerzes, welche statt den Seelenadel starker Empfindungen zu bekunden, vielmehr die Vorstellung der
Ungebärdigkeit einer vulgären Natur hervorrufen; der Grund, warum die alte schottische Ballade so hoch über der modernen deutschen steht, liegt tiefer. In jener Zeit ist, wie in allen den herrlichen alten Stücken
derart, die visionäre Handlung wie die Schilderung der Körperwelt auf das strengste und diskreteste lediglich nur als Darstellungsmittel des überwältigenden Gemütszustandes verwendet; daher hält sich beides so glücklich und sicher in den Grenzen der einfachen Wahrheit und Natur. [...]
Und nun vergleiche man damit, wie die ´Lenore´ überall den Nachahmer zeigt, und zwar den Nachahmer der bloßen Manier, der in den Nebendingen seine Stärke sucht und darüber den Hauptzweck aus dem
Auge verliert! Was das Gedicht so berühmt gemacht hat, ist die Virtuosität in der Behandlung des dekorativen Beiwerks. Und um dieser spukhaften Scenerie, um jenes Todesgrauen willen, das in der schottischen Ballade
sich nur mit leisem Aklang in die äußere Darstellung mischt, aber ganz ohne die Seele der handelnden Hauptperson zu berühren, ist bei Bürger die Handlung in eine Breite ausgesponnen, mit einem Detail
ausgestattet, welche schon allein mit ihrem Charakter als Darstellungsmittel im Widerspruch stehen. Aber weil ihm das Bewußtsein dieser Bestimmung der Handlung fehlt und er sie daher ganz als Selbstzweck
betrachtet, geht ihr auch jener enge, symbolische Anschluß an die zugrunde liegenden Gemütszustände und Vorgänge verloren, sie büßt mit der Einfachheit auch die Wahrheit ein. Statt durch getreue Nachahmung
ergreifenden Seelenlebens zu bewegen, beschränkt sich die Dichtung darauf, durch eine effektvoll vorgetragene Spukgeschichte rein äußerliche Sensation hervorzurufen! Bürger stellt den
Gegenstand unter einem veränderten Gesichtspunkt dar; die Uebergewalt der Liebe kehrt sich über den Verlust des Geliebten in Verzweiflung, die mit Gott und der Vorsehung hadert, die Entführung durch den Geist des
Bräutigams und der Tod Lenorens erscheinen dann gewissermaßen als göttliches Strafgericht. Darauf deutet der moralisierende Schlußgesang, den das im Mondenschein tanzende Geistergesindel als Hochzeitslied ´heult´:
´Geduld! Geduld! wenn's Herz auch bricht! Mit Gott im Himmel hadre nicht! Des Leibes bist du ledig; Gott sei der Seele gnädig!´ Und doch hat es der Dichte nicht vermocht den Sturm in der Seele seiner Heldin in der
Handlung selbst zu verkörpern, sondern er greift zu dem poetisch weit unwirksameren Mittel ihn geradehin zu beschreiben, wobei die Mattigkeit des Verfahrens durch das Excessive des Ausdrucks aufgewogen werden soll.
Die Handlung selbst aber behält, trotz der Dekorationskunst, die darauf gewandt ist das Zwielicht des Geisterreichs herzustellen, den Charakter eines von außen hereinbrechenden Ereignisses, bei welchem die innerlich
allein Beteiligte sich passiv, ja zögernd und halb widerwillig verhält, während der Vollzug der Aktion ganz ohne innere Motivirung dem Gespenste des toten Bräutigans und dem gräulich spukhaften Geistergesindel von
Kirchhof und Hochgericht zufällt. Soll darin eine Symbolik gefunden werden - und wie anders erhält der ganze Vorgang überhaupt irgend eine Bedeutung? - so kann es nur diese sein: die tötliche Wirkung des ´in Gehirn
und Adern wütenden´ Fieberparoxysmus; ein singulärer und noch dazu häßlich pathologischer Vorgang, statt, wie in ´Wilhelms Geist,´ der Offenbarung kraftvollster und zugleich zartester Gemütsart, die, obwohl im
einzelnen Falle vergegenwärtigt, doch in typischer Allgemeinheit die Macht der Kräfte verkündet, deren das menschliche Herz fähig ist.
[S. 266] Noch ein frappantes Beispiel, wie hoch die rein epische Behandlung, d. i. also diejenige, welche die Handlung ganz für sich allein, als aus dem unmittelbaren Antriebe des Gemüts, aus schönem Ethos, hervorragend erzählt, über derjenigen steht, welche auch nur die Vermischung der ethisch-pathetischen Auffassung mit der moralischen Rücksicht zuläßt, zeigt die Gestaltung eines nahe verwandten Stoffes durch Goethe und Bürger. Wie Bleigewichte hängen sich die moralisierenden Betrachtungen an die im Uebrigen vortreffliche Erzählung in Bürgers ´Lied vom braven Mann´;
wie rein dagegen die Schönheit des von allem Beiwerke befreiten Körpers der Handlung in Goethes ´Johanna Sebus´!
[S. 319] Gedichte wie diese [Hans Sachsens ´Sct. Peter mit der Geis´ und die ´Die
ungleichen Kinder Eva´, und Goethes ´Legende vom Hufeisen´.] thun ihre erfreuliche Wirkung eben dadurch, daß in ihnen die Gattung rein erhalten ist; wie überall so gibt es auch auf dem Felde der komischen
poetischen Erzählung nicht vieles derart. Vielleicht für keine Dichtungsart war Bürgers Talent so glücklich disponiert wie für diese, und seine große Beliebtheit dankt er vorzüglich den ihm am besten gelungenen komischen Erzählungen, von welchen vor allen andern ´Der Kaiser und der Abt´
als ein Musterstück der Gattung bezeichnet werden kann. Es zeigt sich auch hier, daß die komische Poesie ganz ebenso die höchsten Anforderungen an den Dichter stellt wie die tragische. So unscheinbar vielleicht
gerade diese Gattung der komischen poetischen Erzählung vielen Beurteilern vorkommen mag, so ist, bei den auf allen Seiten sie umgebenden Gefahren der Ausartung, sie rein darzustellen, die Sache nur eines
sehr bedeutenden Dichters. Bei Bürger selbst wird die heitere Freude an dem dargestellten allzu oft getrübt, wenn nicht ganz aufgehoben, durch das Parodische und Triviale, ja zuweilen Niedrige und Gemeine, welches
diesem Genre so leicht sich zugesellt, bei den Einen um es als das wohlfeilste Mittel zum Ersatz für die mangelnde wahrhaft komische Wirkung zu verwenden, bei den Andern um einer angeblich satirischen Tendenz damit
zu dienen. Ist nun die entschieden satirische Tendenz, so gut wie die lehrhafte Absicht, an sich dem reinen Charakter der poetischen Erzählung, auch der komischen, widersprechend, so werden andererseits die Mittel
des niedrig Parodischen, Trivialen, Vulgären durch satirische Verwendung selbst bei der an sich besten Absicht noch keineswegs etwas Anderes als sie an sich sind, noch keineswegs der poetischen Verwendung fähig; als
ein abschreckendes Beispiel der Art wäre Schillers Jugendgedicht ´Der Venuswagen´ zu nenneen, welches, wie noch andere Gedichte in Schillers ´Anthologie´, deutliche Spuren einer ziemlich starken Beeinflussung
durch Bürgersche Ausdrucks- und Darstellungsweise zeigt: vielleicht ein Grund mehr dafür, daß Schiller zehn Jahre später sich mit um so entschiedenerer Verurteilung gegen Fehler wandte, die er einst selbst bis zu
einem gewissen Grade mitzumachen sich hatte verleiten lassen. “
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1887
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Kniest, Philipp. Von der Wasserkante, Bremen.
“[S. 198] Der König und die Kaiserin, Des langen Haders müde,
Erweichten ihren harten Sinn Und machten endlich Friede . . . Der edle Frieden war in Deutschland wieder eingekehrt. Die Soldaten der verschiedenen Mächte marschirten
nach Hause, mit Wunden viele, mit Lorbeeren nicht alle bedeckt.”
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1887
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Cst. Zur Kritik der Faust-Commentare. In: Beilage zur Allgemeinen Zeitung, 15. Januar. München
“[S. 211] Ein
Hr. Redacteur Tuch ist von der Entdeckung des dreifachen Faust-Plans ´enthusiastisch´ gerührt und ertheilt dem Entdecker folgendes unanfechtbare Zeugniß: ´Ist aber Ihre Lösung die richtige, so hat sie unschätzbare
Verdienste.´ Ja wohl! Wenn nur das ´Wenn´ und das ´Aber´ nicht wäre! Was sagt doch der alte Kinderreim? Der Mann, der das Wenn und das Aber erdacht, hat sicher aus Häckerling Gold schon gemacht. Auch Häckerling aus
Gold! Denn ist die Lösung des Hrn. Louvier richtig, so ist Goethe's Faust nichts als Häckerling!”
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1887
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Hecker, Carl. Der Fall von Granada. In: Memoiren eines Lieutenants, Stuttgart,
“[S. 263] Der schöne Wilmsky ist in einer schwierigen Lage, er
zögert. Fräulein [Leonore] von Siebeneich ist die Dame seiner Verehrung, wohl liest er in ihren Augen die stumme Frage: ´Bist untreu, Wilmsky, oder tot, wie lange willst du säumen?´ Aber als feiner Mann, als
Stellvertreter der Hauswirtin, möchte er auch gegen die andere Dame, deren Liebe ihm schmeichelt, nicht unhöflich sein.”
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1887
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Berliner Börsen-Zeitung, Morgen-Ausgabe 07.6.1887
"Eine ähnliche Erscheinung, wie sie seiner Zeit bei der Gründung der 'Neuen Freien Presse' durch die Secessionisten der 'Presse' auf journalistischem Gebiete vorgekommen,
wiederholt sich gegenwärtig im Bühnenleben. [...] Die Herzen der großen Verschworenen schlagen sicherlich der 'Entfernten' mit wilder Sehnsucht entgegen. Wie heißt es in dem bekannten Bürgerschen Gedicht?
Herr Barnay fährt um's Morgenroth Empor aus schweren Träumen. Bist untreu, Anna, oder todt? Wie lange willst Du säumen?"
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1887
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Leipziger Tageblatt und Anzeiger 6.1.1887
"Reichs Hallen. Zwei grosse Gala-Mess-Vorstellungen Zum Beispiel: Baldrian's Liebesglück, oder: Der Todtenritt um Mitternacht."
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1887
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Anzeige. In: Elbeblatt und Anzeiger 23.7.
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1888
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Meyers Konversationslexikon von 1888
"Schiller wirft in seiner Rezension in der ´Allgemeinen Litteraturzeitung´ von 1791 B. vor, daß seine Gedichte keinen reinen Genuß böten, daß ihm durchaus der ideale Begriff von
Liebe und Schönheit fehle, daher seine Gedichte zu oft in die Gemeinheit des Volkes hinabsänken, statt dieses zu sich zu erheben, daß überhaupt der Geist, der sich in seinen Gedichten ausspreche, kein gereifter sei,
daß seinen Produkten nur deshalb die letzte Hand der Veredelung fehle, weil sie ihm wohl selbst fehle. Dies wenn auch strenge Urteil mag bestehen, wenn man das Gegengewicht der Vorzüge Bürgers gelten läßt. Denn die
Wärme seiner Empfindung, die unmittelbaren und ergreifenden Naturtöne der Innerlichkeit, die Weichheit und zugleich die Kraft des Ausdrucks, die Mannigfaltigkeit der Formen, die er beherrschte, werden ihm unter den
deutschen Lyrikern immer einen bedeutenden Platz sichern. In der Ballade hat er (einige verfehlte abgerechnet) sehr Hervorragendes geleistet, und der melodische Fluß seiner Lieder ist oft von höchster Schönheit.
Seine Übersetzungen sind, wie der Versuch einer Ilias in Jamben und seine Macbeth-Bearbeitung, meistens durch die Anwendung falscher Übersetzungsprinzipien mißlungen."
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1888
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Tieck, Johann Ludwig . In: Deutsche Dichter von Gottsched bis auf unsere Tage in Urtheilen zeitgenössischer und späterer deutscher Dichter. Von
Dr. R. Mahrenholtz u. Dr. A. Wünsche. Leipzig
”[S.37] Bürger´s großes Talent war die populäre Behandlung der Poesie, und darum wird seine “Lenore” immer ein wahres Meisterwerk bleiben. Auch manche andere seiner Gedichte verdienen
volle Anerkennung. Zu bedauern ist, daß er mitunter in einen platten, ja gemeinen Ton verfallen konnte, wie in dem Gedichte von der “Jungfrau Europa”. Dennoch ist Schiller´s bekannte Kritik zu streng, besonders wenn
man bedenkt, daß dieser sich doch auch Manches vorzuwerfen hatte. Seine Recension Bürger´s erscheint um so schärfer, wenn man sie mit der unnöthig anerkennenden des weichlichen Matthisson vergleicht. Dagegen war
Goethe gegen ihn freundlich gesonnen, und die Erbitterung Bürger´s in dem bekannten Epigramme war ungerecht. Ich hatte die Veranlassung dazu von Reichardt erzählen hören, und danach fällt die Schuld bei weitem mehr
auf Bürger. Goethe und Reichardt hatten miteinander musicirt; während dessen war Bürger, der Goethe besuchen wollte, in das Nebenzimmer eingetreten. Goethe sieht ihn, und noch erfüllt von der Musik, tritt er ihm mit
einer freudigen Begrüßung entgegen. In demselben Augenblicke verbeugt sich Bürger sehr tief. Durch das Sonderbare dieser Lage wird Goethe in Verlegenheit gesetzt, er wird verdrießlich, und eine steife und kalte
Unterhaltung beginnt. Darüber wird nun Bürger empfindlich; er entfernte sich bald, und sprach in jenem Epigramm seinen Zorn aus.”
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1888
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Hahn, Werner. Gottfried August Bürger. In: Geschichte der poetischen Litteratur. Berlin. Sammlung Klaus Damert
“[S. 200] Poetisches Talent und sinnliche Leidenschaft waren in ihm unglücklich gemischt. Von dem wüsten Leben, das er seit seinem Aufenthalt in Halle und Göttingen führte, konnte er
sich nicht mehr beharrlich frei machen.[...] Bürgers Dichterruhm gründete sich auf die 1774 im Göttinger Musenalmanach erschienene ´Lenore´. Seine Gedichte wurden 1778 und seitdem wiederholentlich gesammelt. Unter
den lyrischen Gedichten: ´Trinklied (Herr Bacchus ist ein braver Mann, Das kann ich euch versichern!); das Dörfchen (Ich rühme mir mein Dörfchen hier); Himmel und Erde (In dem Himmel quillt die Fülle der vollkommnen
Seligkeit); Minne (Ich will das Herz mein Leben lang Der holden Minne weihen)´usw. Bürgers Sonette sind die ersten, die seit Gottsched wieder gedichtet wurden. Sie empfingen selbst von Schiller, der ihn mit
einseitiger Strenge beurteilte, das Lob, [...]. “
Der vollständige Beitrag in der ONLINE-BIBLIOTHEK
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1888
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Kawerau, Waldemar. G. A. Bürger. In: Aus Halles Litteraturleben. Halle. Digitalisiert von Google
“ [S. 196] Auch unter den Studenten warb sich Klotz seinen Anhang, aber Diejenigen, die der grossmächtige Herr Geheimrath mit seiner Freundschaft beglückte, hatten meist den sittlichen
Schaden davon, da der verheirathete Professor in dem lockeren Kreise der lockerste, unter den leichtsinnigen der leichtsinnigste war und durch sein Beispiel haltlose Naturen auf das unheilvollste beeinflusste. Auch Bürger,
der mit 16 Jahren das Hallische Pädagogium verliess, wo er mit Göckingk auf derselben Schulbank gesessen hatte und nun als blutjunger Student der Klotzschen Protection sich erfreute, lief in dem wüsten und regellosen Treiben Gefahr, sich selbst zu verlieren. Aber Klotz, der für Talente eine feine Witterung hatte, liess nicht locker; auch nach Bürgers Uebersiedelung nach Göttingen setzte er den Verkehr mit ihm fort, und schmeichelte ihm jener: Tu mihi Socrates, Tu mihi Plato, aut si quos novisti magis unquam a suis adamatos, corum Te similem judico; versicherte Bürger des Weitern, es sei ihm die ´liebste Geistesbeschäftigung, Klotzens Verdienste zu bewundern, seinen göttlichen Geist zu feiern, sein reines und offenes Herz zu lieben´ - so blieb Klotz seinerseits nicht zurück, sondern bewunderte dankbar Bürgers ´Geisteskraft´ und hoffte gewiss, ihn bald als Hallenser Professor wieder zu begrüssen. Er solle nur schleunigst seine Doctordisputation machen, ´weil ich (Klotz) will, dass Sie bald wieder zu uns kommen sollen und zwar als Professor. Das erste überlasse ich Ihnen, das letztere überlassen Sie mir´. Klotz war es auch, der Bürger zur Nachdichtung des Pervigilium Veneris, jenes ´carmen molle, dulce et jucundum´ veranlasste, denn ´ich weiss ja, was für ein Mann Sie sind, und was ich von Ihnen erwarten kann´. Mit klarem Blick erkannte der feine und gewissenhafte Boie in Gottingen den schweren sittlichen Schaden, der dem jungen Bürger aus dieser Verbindung erwachsen musste und wie nothwendig es sei, ihn in andere Gesellschaft zu bringen, die ihm nicht von vornherein ´in der Meynung derer schade, deren Beyfall ein Mann, der edel und fein denkt´, allein suchen muss. ´Ich würde mich vor mich selbst schämen, - schrieb er an Gleim - wenn ich einen Funken persönlichen Grolles wider Klotz in mir hätte. Ich verkenne sein Genie nicht, aber ich bin zu sehr von dem grossen Schaden überzeugt, den er in unserer Litteratur angerichtet, als dass ich die Vereinigung eines guten Kopfes mit ihm ohne Schmerz sehen könnte. Sie ist seinen Sitten und seiner Grösse gleich nachtheilig. Wie kann der gross werden, der frühzeitig lernt, dass es Nebenwege giebt, zu dem Tempel der Ehren zu kommen?´ Und später: ´Er (Bürger) weiss zu viel, um auf Klotzens Halbgelehrsamkeit zu bauen; aber Klotz hat ihm so viel Gutes erwiesen, dass es Undankbarkeit wäre, wenn er wider ihn wäre. Für ihn kämpfen soll er aber eben so wenig, so nöthig Kl. bei seiner halbdesertirten, halb furchtsamen Armee junge, rüstige Streiter braucht.´“
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1888
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Erzgebirgischer Volksfreund : mit Schwarzenberger Tageblatt 29.4.1888
"Theater in Lößnitz. (Deutsches Haus.) Sonntag, den 29. April, Nachmittagsvorstellung für Kinder. Anfang 31/2 Uhr: Prinz Nachtigall. Abendvorstellung. Anfang 8 Uhr.
Leonore oder die Braut des Todes. Schauspiel mit Gesang. H. Gothe."
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1888
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Für die Schwester. Theater-Novelle von Gebhard Schätzler-Perasini in Sächsische Dorfzeitung 13.9.1888
"Diesen Abend sollte 'Lenore, die Grabesbraut',gegeben werden, jenes alte Schauspiel, nach Bürger's Lenore bearbeitet, das stets noch 'Kasse' machte. Das Publikum war sehr
gemischt: Sommerfrischler, Spießbürger, Bauern. Ich selbst spielte den schon durch des Dichter's Ballade interessant gemachten 'Wilhelm'. Ganz am Ende des großen rothen Anschlagzettel hieße es noch:
'Großes Schluß-Tableau!' Wilhelm und Lenore zu Pferde! Bei elektrischer Beleuchtung nach Kaulbach's Gemälde! Kein Wunder also, wenn es voll wurde. Auch der jüngere weibliche Theil war auf allen
Plätzen so ziemlich stark vertreten. Die Vorstellung begann und ging glänzend von statten."
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1888
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Düsseldorfer Volksblatt 30.4.1888
"Unpolitische Zeitläufe. 'Geduld, Geduld, wenn's Herz auch bricht!' Aus den Lesebüchern in der damals noch nicht 'entlasteten' Volksschule
haben wir es ja schon gelernt, daß der Frühling nur langsam und mit Hindernissen kommt, sowohl in dem Natur-, als in dem Menschenleben. Nachher haben wir noch dazu gelernt, daß auch im Völkerleben die Nordwinde und
die trüben Wolken manchmal sehr lange der treibenden Wärme und der belebenden Sonne den Weg versperren."
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1888
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Der Sozialdemokrat 29.1.1888
"Aus Norwegen. Nun, wenn der Vortrag zum hundertsten Male aufgeführt worden ist — und hoffentlich fehlen nur noch ein paarmal daran — dann erscheint er vielleicht in einer
wohlfeilen Ausgabe im Druck, und — alsdann werden wir ihn lesen! Bis dahin also: 'Geduld, Geduld, wenn's Herz auch bricht; mit 'Genosse' Björnson hadre nicht!"
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1889
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Frommel, Emil Wilhelm. Aus der Chronik eines geistlichen Herrn. Stuttgart. Digitalisiert von Google
“[S. 33] Am liebsten war es uns, wenn sie von ihrem Bruder erzählte, der mit den badischen weißen Husaren nach Rußland unter Napoleon gezogen und nicht mehr heimgekommen, sondern dort
an der Beresina erfroren sein mußte. Grade dies Dunkel, in das sich dies Leben verlor, was nun allen Phantasien Spielraum ließ, war das Interessanteste dabei. Konnte er denn nicht am Ende gefangen und nach Sibirien
verbracht, dort ein reicher Pelzhändler geworden sein und an einem schönen Tage zu seiner Haan - und der Applone, die seine Braut war, heimkehren? Als ich später Bürgers Leonore ´um das Morgenrot herumfahren´ sah,
dachte ich immer an den weißen Husaren an der Beresina und die ´Applone´.“
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1889
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Herder, Johann Gottfried. Brief vom 27. December 1779. In: Vierteljahrschrift für Litteraturgeschichte, Weimar. Digitalisiert von Google
“[S. 144] Ich bin in den meisten, ja allen Stücken so sehr seiner Meinung und freue mich so ganz über den warmen von der Wahrheit begeisterten Ton, mit dem Alles gesagt ist, dass es mir
leid thäte, wenn auch Er, ein so erleuchteter Kenner des Guten und Schönen, durch die Ausgabe der ´Volkslieder' mich unter die Zahl der Verderber der Poesie setzte. Sie sind nicht herausgegeben, um Muster zu
werden und gerade nicht in dem, worinn Bürger, der Almanach *) etc. die VolksDichtelei setzen, die mich von Herzen mit ihrem Eia, Popeia! ärgern. Ich glaubte nur, den Engländern, z. E. Spenser, Shakespear, Pope,
Mallet, Gray u. a. zu Folge, hie und da Goldkörner aus Unrath ziehen zu dörfen und hoffte mit einem kleinen Versuch solcher Sammlung theils ältere, gute und zu sehr vergessne Dichter unsers Vaterlandes wieder ins
Andenken zu bringen, theils durch die treuherzige, wahre Sprache, die damals das deutsche Lied hatte, von manchem Geklingel neuerer sogenannter Poesie und lyrischen Schwunges, zur Einfalt und Natur zurückzuführen,
ohne das Rauhe und Unpassende aus solchen Zeiten wiederbringen zu wollen. Ist meine Absicht fehlgeschlagen, so hat sie dies Schicksal mit vielen andern guten Absichten gemein. “
Der vollständige Beitrag in der ONLINE-Bibliothek
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1889
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Minor, Jakob. Der junge Schiller als Journalist. In: Vierteljahrschrift für Litteraturgeschichte, Weimar. Digitalisiert von Google
“[S. 372] Die Vorliebe für mathematischen Calcul, die Berechnung des Reisgewinnes eines Goldmachers, der Kriegsschiffe und Truppen in ganz Europa, der englischen Beamtengehalte u. s. w.
haben wir schon als eine Eigenthümlichkeit Schillers erwähnt, von welcher sein Kalender weitere Proben gibt. Viele Anekdoten sind in dem derben cynischen Tone erzählt, in welchem sich der Mediciner und das
Kraftgenie sowohl im mündlichen Verkehre als im Schreiben gefiel: die Gedichte in der Manier Bürgers, namentlich aber die prosaische Vorrede zu der Anthologie, geben davon die deutlichsten Belege. So lesen wir auch
hier wiederholt von dem ´Kerl´, von der Tabakspfeife ´im Maul´. Der aufgeknöpften Manier der Darstellung entsprechen inhaltlich die Sticheleien auf die Schwächen des weiblichen Geschlechtes und auf die alten Weiber,
welche in den Epigrammen der Anthologie ihre Entsprechung finden.“
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1889
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Vitzthum von Eckstädt, Karl Friedrich Graf. Wien, München, Dresden. In: London Gastein und Sadowa, Stuttgart
“[S. 102] Der Realpolitiker wird sich dabei jedoch immer der Worte Bürger's zu erinnern haben:
...........................Vortrefflicher Haber! Ihr füttert die Pferde mit Wenn und mit Aber. Der Mann, der das Wenn und das Aber erdacht,
Hat sicher aus Häckerling Gold schon gemacht.”
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1889
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Hannoverscher Kurier : Hannoversches Tageblatt ; Morgenzeitung für Niedersachsen 26.10.1889
"Auf das Programm der Malstatter Dilettantenbühne 'Thalia' war laut Anzeige in der 'Malstatt-Burbacher Zeitung' (Nr. 233) für den Abend des 6. October Folgendes gesetzt:
'Leonore, oder: Die Brautnacht im Grabe, vaterländisches Schauspiel in 3 Abtheilnngen von Karl v. Holtei. Zum Schluß: Der Todtenritt, wozu die Mitglieder freundlichst eingeladen sind."
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1889
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Anzeige. In: Klagenfurter Zeitung 1.11.
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1890
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Poppenberg, Felix. Bürger (Gest. 8.Juni 1794). In: Das Magazin für Litteratur. Vereinsorgan der Freien Literarischen Gesellschaft, Nr.22, Sp.678-684 (Sammlung Helmut Scherer)
“[Sp. 678] Doch in seiner Lebens Wildnis leuchtete die Poesie. Er war ein Dichter und er hat die Zeit überdauert. Das Echte, das er geschaffen, wirkt heut - hundert Jahr nach seinem Tod
- frisch wie einst.
[Sp. 682] Was Bürger als Dichter war, läßt sich daraus ersehen, daß man sein Schaffen in keine der Zeitgruppen einregistriren kann. Er gehört allen an. Er stimmt in die Weise des Hains
ein, ist Minnesänger und Brde; er folgt den fliegenden Fahnen der Stürmer und Dränger; er tummelt sich in der wildkühnen Freischar der Herder-jünger und schwört den Treueid auf Shakespeare und die Volkspoesie; und
er ist, was Goethe vom Lyriker verlangt und was neben ihm zu dieser Zeit in einigen wenigen Liedern nur Lenz gewesen, ein echter Gelegenheitspoet, ein Ausgestalter des eigenen Erlebens. Des sind schmerzlich süße Zeugen die Mollylieder.
Hier erklingen die schlichten Töne des Volksliedes. [...] Hier hat aber auch Sehnsuchtsqual, Gewissenspein und Leidenschaftstaumel den tieferschütterndsten Ausdruck gefunden. [...] Als ihm aber die
Geliebte endlich wird, da versagt ihm die Dichterkraft. Sein ´hohes Lied von der Einzigen, in Geist und Herzen empfangen am Altare der Vermälung´ ist, wenige Zeilen ausgenommen, schwülstig wie sein Titel und
charakterisirt treffend jene nur zu große Schar der Bürgerschen Gedichte, die durch pomphaften Wortprunk innere Leere verbergen wollen.
Seine übrige Lyrik hält sich innerhalb der Schranken des Zeitgeschmacks.
[Sp. 683] Derselbe Sänger solcher holden Nichtigkeiten hat aber auch das bewegte dramatische Lied geschaffen wie es Herder verlangte; er, der einzige neben Goethe. Die Volkslieder mit
ihrer lebendigen Technik, die häufig kleine Dramen mit Hin- und Widerrede sind: die kraftvolle Wucht des Sturms und Dranges mit seinen oft krassen Motiven; das Shakespeareevangelium, das nach Natur, Leben und
Charakteristik schrie, - diese Dreieinigkeit befruchtete Bürgers Balladendichtung. [...] Doch nur zu häufig wird auch die Szene zum Theater; die Bühne des Ritterdramas mit hohen Mauern und Zinnen tut sich
auf, gelblederne Ritterstiefel klirren bombastisch mit den Spundsporen, und allzu biderbe Recken schwingen allzu renommistisch die plumpen Schwerter. Schlimmer aber noch ist es, wenn Bürger vom Theater zum Jahrmarkt
übergeht, ein großes grell gemaltes Tableau anspannt und in beweglichen Reimen ein klägliches Karmen absingt. Er verstand sich dazu in übertriebenen Streben nach Popularität, uns aber tut es weh, den Dichter unter
den Gauklern zu sehen in Misgestalt. Doch auch in diesen Produkten zeigt sich unter dem hohlen Kling-klang die Meisterschaft, bewegte Gruppen zu gestalten, Leben und Affekt zu geben. Und der
Dramatiker unter den Balladendichtern hält stets auf sorgsam abgetönte Differenzirung der Sprache in den Rollen seiner Personen. - -
Seine Gegenwart sah nur die Schlacken und Flecken an seiner Persönlichkeit. Und er hat sich hinausgehungert aus der Welt, die ihn verstieß. Die Nachwelt aber ward ihm gerechter als die
Mitwelt, und hundert Jahr nach seinem Tode will man sogar ein Denkmal ihm errichten. Doch er hat stets entbehren müssen, was seinen Werken nun so reichlich widerfährt. -”
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1890
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Werner, Richard Maria. Biographische Einleitung. In: G.A. Bürgers ausgewählte Werke in zwei Bänden. Erster Band.
[S. 9] Alle guten, aber auch alle bösen Seiten seiner Periode [des Sturm und Drang] wurden in ihm lebendig und machen ihn zu einem der interessantesten Vertreter seiner Tage; wenn wir
ihn bewundern, so bewundern wir die neuen Errungenschaften, wenn er uns abstößt, so fällt auf ihn nur ein kleinerer Teil der Schuld: seine Zeit wurde sein Verhängnis; er ist einer von den vielen, welche an jener
Zeit zu Grunde gingen, denn das Licht leuchtete nicht bloß, es versengte auch, dem neugewonnenen Golde waren Schlacken beigemischt, und nicht jeder konnte einen Klumpen Goldes rein ausscheiden.
[S. 25] In
Schillers Kritik stellt sich der Klassizismus gegen den Sturm und Drang, der Vertreter des idealen gegen den Vertreter des realistischen Stils. Schiller gab eine Art Selbstkritik. Der Dichter des Don Carlos durfte
den Dichter der ´Anthologie´ bekämpfen, er durfte auf die glücklich überwundene Periode seines Lebens mit Hoheit herabsehen und seine eigene dichterische Vergangenheit in Bürgers Poesie verwerfen, das bildet die
tiefe Bedeutung der Schillerschen Anzeige für Schiller, mildert aber auch in unseren Augen ihre Härte. Davon wußte jedoch die Zeit, wußte vor allem Bürger nichts.
[S. 26] Am 13. Juni begann jener bedeutsame
Bund unserer zwei größten Dichter, welcher den Sieg des Klassizismus in Deutschland entschied. Fünf Tage vorher schloß der letzte und treueste Vertreter des ´Sturm und Drang´ für immer all seine Qual und Sorge,
treue Freundeshände drückten ihm die Augen zu. Er ging zu Grunde, weil der starre Realist nicht einsehen wollte, daß die Dichtkunst die Individualität des Künstlers und doch Idealisierung verlange. Bis zuletzt
glaubte er fest daran, daß gerade das Eigentümliche, das streng Individuelle das Schöne, idealisierte Empfindungen dagegen ein Unsinn sei. Es ist tragisch, daß Bürger an dem Ideale scheitert, welches unsere
klassische Literatur hat begründen helfen, aber die Entwicklung mußte weiterschreiten, wenn es galt - sogar über Leichen."
Werners Biographische Einleitung in der ONLINE-BIBLIOTHEK.
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1890
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Meyer, Friedrich Ludwig Wilhelm. In: F.L.W. Meyer, sein Leben und seine schriftstellerische Wirksamkeit, Dissertation von Curt Zimmermann
“[S. 18] Die Schwächen, welche Meyer in dem Leben des Dichters [Bürger] wahrnahm, fand er auch in seinen lyrischen Produkten wieder; in einem Briefe an Heyne charakterisiert er die 1789
erschienen Bürgerschen Gedichte folgendermassen: “Popularität, die keine Grazie zulässt, tönende Worte für gemeinen Sinn, Stolz, der das Verdienst seinem Richter aufdringen will, und vor allem die häufige Wiederkehr
der beleidigenden Forderung, dass eine Gottheit, wie wir uns die christliche denken, sich um alltägliche Liebeshistorien und Küsse kümmern und verwenden sollte, Vermischung der Sprache und des Tones, Dehnung, Mangel
an Empfindung und Verstösse gegen die Anständigkeit, berauben den Dichter beinah der vorzüglichsten Eigenschaften, um derentwillen er Achtung verdient.”
Dissertation von Curt Zimmermann in der ONLINE-BIBLIOTHEK
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1891
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Köster, Albert. Macbeth. In: Schiller als Dramaturg. Berlin.
“[S. 60] Wieland, Eschenburg, Stephanie, Fischer, Schröder, Bürger bilden eine festgeschlossene Kette. Und erst Schiller bricht in vielen Punkten mit der Tradition; das ist sein großes
Verdienst. Vor Schiller bringt jeder der genannten Bearbeiter den verpfuschten ´Macbeth´ ein Stückchen wieder in die Höhe; ein Jeder erbt aber auch von den Vorgängern eine Anzahl von Fehlern. Und da nun die
Bearbeitungen von Stephanie und Fischer heutzutage kaum noch dem Forscher in die Hände fallen, die von Schröder aber vergessen war, so wurden die meisten Entstellungen Bürger zur Last gelegt. Das ist jedoch durchaus
zurückzuweisen; von jeder der genannten Bearbeitungen ist bis zur nächstfolgenden vielmehr ein ständiger Fortschritt festzustellen, und darum steht Bürger am höchsten.
[S. 67] Schröder schickte das Stück an
Bürger, damit er es bei seiner Bearbeitung als Grundlage benutze; und dieser hielt sich in manchen Einzelheiten eng an die Vorlage. Jahre lang hat er an seinem ´Macbeth´ gearbeitet, eine leichtfertige Pfuscherei
kann man das Werk darum nicht nennen. Daß es heute dem Leser als eine grobe Entstellung erscheint, liegt in den veränderten Ansprüchen; für die Zeit seiner Entstehung war es ein wesentlicher Fortschritt gegen die
früheren Versuche. Daß ein Bearbeiter mit dem Werke eines fremden Dichters frei schalten dürfe, war eine allgemein verbreitete Anschauung; aus ihr sind die Mängel von Bürgers ´Macbeth´ nicht abzuleiten.
Verhängnisvoll war vielmehr, daß der Dichter nicht freie Bewegung hatte, da er ja an Schröders Vorarbeit gebunden war, und ferner, daß seine ganze Begabung sich auf das kleine Gebiet der Lyrik und Balladendichtung
concentrirte, daß sie dagegen für das Drama nicht ausreichte. Diese Erkenntnis ging ihm jedoch erst während der Arbeit auf. Viele Fehler sind nicht Bürger, sondern seinem Vorgänger zur Last zu
legen. Die Scenenfolge des Hamburger Manuscripts ist fast durchgehend beibehalten, denn in dieser Hinsicht war für Bürger die Erfahrung des großen Bühnenpraktikers maßgebend, obwol er auch hier schon trotz Schröder
die Macduffscenen wieder an ihren richtigen Platz stellte.
[S. 68] Neben diesen alten und neuen Willkürlichkeiten finden sich aber auch Zeugnisse einer durchaus richtigen Auffassung, die für jene Zeit sogar
originell waren. Nicht nur, daß Bürger an Hand des Originals Vieles, was Schröder ausgelassen hatte, wieder einfügte, oder umgestellte Scenen und Reden ihren gebührenden Platz wieder anwies; er hat sich auch von dem
Einfluß Stephanies und Fischers nach Kräften befreit; [...]
[S. 69] Berühmt geworden ist aber die Bearbeitung erst durch die Hexenscenen; auf sie hat der Dichter sein Hauptaugenmerk gerichtet.
[S. 71]
Und doch liegt trotz aller Übertreibung und Verzerrung in dem Bürgerschen ´Macbeth´, besonders in den Hexenscenen etwas Gesundes. Bürger war der Erste, welcher einsah, daß für einen so mächtigen Inhalt, wie ihn die
Shakespearschen Dramen darbieten, auch die Form von hoher Bedeutung sei.
[S. 73] Mit alledem ist noch durchaus kein Werk entstanden, welches das Shakespearesche Original ersetzen könnte; aber wenn man die
Entstehungsgeschichte dieses Stückes kennt und weiß, wie der Bearbeiter durch Rücksichten und Schwierigkeiten eingeengt wurde, so wird man milder urteilen. Zwanzig Jahre lang vermochte in Deutschland keiner eine
bessere Bühnenbearbeitung zu schaffen, als die Bürgersche war. Zeitgenössische Kritiker sprechen von ihrer großen Bühnenwirkung, die noch erhöht wurde durch die ´fürchterlich schöne´ Musik, welche Reichardt zu den
Hexenscenen schrieb, die Partien der Hexen für kräftige Frauenstimmen, die der Hekate für Tenor. In welcher Bearbeitung man in Zukunft auch den ´Macbeth´ spielte, die Reichardtsche Musik nahm man jetzt überall zu
Hülfe. Da nun aber diese die hinzugedichteten Hexenscenen Bürgers mit umfaßte, so trug sie die Auffassung der Schröder-Bürgerschen Bearbeitung, die Vorstellung von dem edlen Macbeth, der einer übermächtigen
Höllenmacht erliegen muß, an alle Bühnen. Und von dieser Auffassung, die sich mehr und mehr befestigte, konnte sich selbst Schiller, als er um die Wende des Jahrhunderts die erste Bearbeitung in Versen unternahm,
nicht freimachen.“
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1891
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Dresdner Journal : Königlich Sächsischer Staatsanzeiger ; Verordnungsblatt der Ministerien und der Ober- und Mittelbehörden 17.8.1891
"Wie Damen Einkäufe am Postschalter in New-York machen.
[...] und unwillkürlich die Hüte lüfteten, als die Dame die Reihe entlang an ihnen vorbeischritt, wie ein General, der seine Armee mustert. So das „Jll-B-M-J", das diese Skizze mit der zutreffenden
Spitzmarke versieht: 'Geduld, wenns Herz auch bricht'"
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1891
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Berliner Volks-Tribüne 21.2.1891
"Aus der Woche. Der Typus Bismarck ist aus dem politischen Leben aller Länder verschwunden, und nimmer zu schauen vergönnt sind dem heranwachsenden Geschlecht die
untadeligen Wasserstiefel. Doch Geduld,und wenn das Herz auch bricht. Im Lande Schwaben ist ein neuer Bismarck erstanden, Kleinbismarck, ein Bismarck in der Westentasche sozusagen. Minister von Schmidt nennt er
sich."
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1892
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Fischer, Kuno. Schiller als Philosoph. Zweites Buch. Die akademische Zeit. 1789-1796. Digitalisiert von Google.
“[S. 246] Es ist kein Zweifel, daß die beiden Aufsätze über Bürger und über den Gebrauch des Gemeinen und Niedrigen in der Kunst innerlich zusammenhängen, daß sich der zweite zum ersten
verhält, wie die Regel zur Anwendung, daß Schiller in jenem generalisirt hat, was er in diesem exemplificirt hatte. Ein Theil der Regel betraf den Gebrauch des Gemeinen in der Dichtkunst. Das Exempel war Bürger.
Erst hatte Schiller den einzelnen Fall als prärogative Instanz vor Augen gehabt, dann behandelte er die Frage theoretisch; jetzt gab er beide Aufsätze zusammen heraus und sagte in der Schlußanmerkung des ersten, daß
er nunmehr seine Gründe noch besser entwickeln könne. Diese bessere, d.h. philosophische Begründung enthielt der zweite Aufsatz.
[S. 247] Diese Recension, die letzte noch vor dem Ausbruch seiner Krankheit
verfaßte Schrift, fand nicht überall einen so ungetheilten Beifall, wie in Weimar und Jena. Es wurde ihm vorgeworfen, daß er gegen Bürger zu hart, ja parteiisch und ungerecht verfahren sei.Mit Unrecht, denn Schiller
hat die geniale Begabung dieses Dichters, die Zauberkraft seiner Phantasie, den Wohllaut seiner Verse, die Unübertrefflichkeit seiner Balladen, die unnachahmliche Schönheit seiner Molly-Sonette, die sich auf den
Lippen in Gesang verwandeln, den unerreichbaren Werth des hohen Liedes von der Einzigen laut anerkannt. Wenn er jetzt die fehlerhafte Seite der Gedichte Bürgers eingehend beleuchte, so sei dies eine Ungerechtigkeit,
die man sich nur gegen einen Dichter von so unbestrittener Bedeutung erlauben dürfe. Doch sei der Dichter als Künstler zu beurtheilen, und Schiller wollte in seiner Recension über Bürger als Kunstrichter sprechen.
[S. 248] In den Tagen der Anthologie hatte er Bürgers derbe, ungenirte Natürlichkeit und deren parodistische Anwendung ganz nach seinem Sinne gefunden und nachgeahmt. Man vergleiche nur ´Fortunens Pranger´
mit dem ´Venuswagen´, ´Männerkeuschheit´ mit ´Kastraten und Männer´, man erinnere sich an Gedichte wie ´Die Journalisten und Minos´, ´Der hypochondrische Pluto´, ´Die Rache der Musen´ u.a. und man wird die
Ähnlichkeit nicht verkennen. Damals hatte Schiller seine Anthologie dem Tode gewidmet, um sie unsterblich zu machen; jetzt hatte er jene Gedichte längst zum Tode verurtheilt, und wenn es nach ihm gegangen wäre, so
würde heute niemand ahnen, daß Schiller je solche Gedichte gemacht und veröffentlicht habe.
[S. 249] Nun war es der Dichter der Götter Griechenlands und der Künstler, der von neuem Bürgers Gedichte gelesen und darunter so viele gefunden hatte, die ihn anwiderten, wie ´Die Menagerie der Götter´,
´Fortunens Pranger´, ´Frau Schnips´ u.a. Kein einziges gewährte ihm einen völlig reinen Genuß. Er verwarf den Gebrauch des Gemeinen in der Kunst, nicht was den Stoff, wohl aber was die Form, die dichterische
Empfindungs- und Ausdrucksweise betraf. Der Dichter darf auch gemeine Empfindungen und Sitten schildern, aber nicht selbst haben und pflegen; er soll volksthümlich sein, nicht pöbelhaft, populär, nicht vulgär, er
soll die Seele seines Volkes ergreifen und zu sich emporheben, aber sich nie mit der Masse gemein machen.
[S. 250] Bürger war von dem Stoff seiner eigenen Stimmungen und Gefühle viel zu sehr unterjocht, um
mit künstlerischer Freiheit denselben beherrschen und in eine von den Schlacken seiner Individualität gereinigten Form ausprägen und mittheilen zu können.
[S. 252] Eine Schwäbin, in seine [Bürgers] Gedichte
verliebt, hatte in ungenirten Versen sich ihm angetragen und den schwachen Mann dadurch berückt. In der Ehe kam alsbald die gemeine Natur des sinnlichen und vergnügungssüchtigen Weibes zum Vorschein.Gerade diejenige
Seite der Gedichte Bürgers, von welcher Schiller sich angewidert fand, hatte seine Landsmännin entzückt; sie lieferte ein lebendiges Beispiel und den traurigsten Beweis, daß Schiller recht hatte.”
Schiller als Philosoph in der ONLINE-BIBLIOTHEK
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1892
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Heyse, Paul Johann Ludwig von. Wahrheit? Schauspiel in drei Akten. Berlin. Digitalisiert von Google
“[S. 21] Fünfte Scene [...] Normann. Der macht ja ein sonderbares Gesicht. Wenn ich doch richtig vermuthet hätte, daß er selbst - Es wäre freilich kein Wunder.
Die hübsche Puppe, seine Frau, mit der er keine zehn vernünftigen Worte reden kann - und neben ihr ein Mädel wie diese Emmy - hat man nicht Beispiele? Bürger und Molly - Der arme Kerl würde mir leid
thun. Aber um so nöthiger ist es, bei Zeiten einen Riegel vorzuschieben.“
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1892
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Heyse, Paul. In der Geisterstunde. In: Deutsche Rundschau, October - November - December)
“[S. 331] ´Wenn Sie
mit meiner Erklärung nicht zufrieden sind´, sagte sie kaltblütig, ´so thut mir's leid; zu mehr aber fühl' ich mich für jetzt nicht aufgelegt´ - wahrhaftig, aufgelegt sagte sie, und sah dabei zum Verrücktwerden reizend und marmorkühl aus. ´Wenn wir uns in aller Form verlobten, würde ich keine ruhige Stunde haben, sondern mir immer wie Bürger's Lenore vorkommen. Nicht blos die ewige Unruhe: bist untreu, Wilhelm, oder todt? fürchte ich, sondern noch etwas viel Schlimmeres. Ich bin nämlich entsetzlich abergläubisch, oder vielmehr, ich glaube steif und fest, daß jene Ballade nicht eine bloße schaurige Fabel ist, sondern so oder anders, aber in der Hauptsache sich wirklich zugetragen hat. Wenn Ihnen etwas Menschliches begegnete, lieber Freund, und Sie hätten ein festes Anrecht auf mich, als auf Ihre feierlich angelobte Braut - ich schliefe keine Nacht mehr und weiß bestimmt, daß irgend ein Spuk meinem armen Dasein ein Ende machen würde. Also lassen Sie uns das Weitere der Fügung des Himmels anheimstellen und ziehen Sie ins Feld von meinen herzlichsten Gedanken überall begleitet.´"
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1892
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Kluge, Friedr. Ueber deutsche Studentensprache. In: Beilage zur Allgemeinen Zeitung, Beilage vom 20.12.
“[S.
3] Am Schluß des 15. Jahrhunderts tritt in akademischen Kreisen der Grobianus auf und in seinem Gefolge das Wort Grobität, das z. B. in Scheids Uebersetzung von Dedekinds Grobianus 1551 begegnet. Auf Grobität folgt
im 17. Jahrhundert Filzität und Albertät (vgl. das Grimm'sche Wörterbuch). Daran schließt sich bei einem studentikosen Schriftsteller vom Ende des 18. Jahrhunderts Schiefität, und in der Burschensprache unsres
Jahrhunderts finden sich noch Kühlität und Knüllität, Flottität und Forschität. Ein Mitglied dieser Wortfamilie, deren Urahnen in gelehrten Worten, wie Humanität und Antiquität, Quantität und Qualität zu vermuthen
sind, ist das weit verbreitete Schwulität, das sich seit Kindlebens Studenten-Lexikon 1781 vielfach in Wörterbüchern der Studentensprache findet; in Bürgers Ballade vom Kaiser und Abt hat es sich aus dem
studentischen Bereich heraus zum ersten Mal in die Literatur gewagt: ´Drauf trabte der Kaiser mit Lachen von hinnen, das Pfäfflein zerriß und terspliß sich mit Sinnen;
kein armer Verbrecher zeigt mehr Schwulität, der vor hochnothpeinlichem Halsgericht steht.´”
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1893
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Koch, Max. Geschichte der deutschen Literatur. Stuttgart
“[S. 181] Der den Göttinger Bundesbrüdern befreundete Gottfried August Bürger, 1747 bis 94, dichtete 1773 als Amtmann zu Gelliehausen seine
Volksballade ´Leonore.´ 1778 und 89 hat der erste und genialste deutsche Balladendichter in Gedichtsammlungen die ganze reiche Fülle seines volkstümlichen Empfindens und poetischen Könnens bewiesen.
[S. 199]
Die den Staat und politische Freiheit allein ermöglichenden Bürgercharaktere zu schaffen, die Widersprüche der menschlichen Natur auszugleichen, sei Aufgabe der seelenbildenden Kunst. Das deutsche Volk zu solchem
Charakter zu erziehen, ist das Ziel seiner Dichtung, nachdem er selbst [Schiller] in der Schule der Geschichte und Kantschen Philosophie seine Selbsterziehung errungen. Und so forderte er denn in den beiden, die
Vorzüge von Bürgers Lyrik freilich nicht genügend betonenden Kritiken vor allem eine ethisch-ästhetische Bildung der eigenen Persönlichkeit des Künstlers, ehe dieser mit seinen Werken an die Oeffentlichkeit trete.
Der menschliche Charakter des Dichters drücke sein Gepräge den Werken auf, welche den Charakter der Zeitgenossen veredeln sollten.“
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1893
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Dühring, Eugen. Die unterschätzte Grösse Bürgers und dessen Annäherung an eine Wirklichkeitsdichtung.
In: Die Grössen der modernen Literatur populär und kritisch nach neuen Gesichtspunkten dargestellt.
“[S. 217] Nach unserm Urtheil ist Bürger der wahrste und bedeutendste Liebeslyriker, den die Deutschen, ja den vielleicht überhaupt das 18. und 19. Jahrhundert zusammengenommen
aufzuweisen haben. Die gleiche Kraft und der gleiche Wirklichkeitssinn, gepaart mit der gleichen Rechtschaffenheit und Gerechtigkeit, sind in diesem Gebiet, soweit mir bekannt, in der ganzen Geschichte und Welt von
Niemand sonst vertreten. Dies will aber Etwas sagen und gleicht die verhältnissmässige Einschränkung des Feldes aus, in welchem sich das Gebiet Bürgerscher Dichtung bewegt hat. Die sonstigen Literaturgrössen haben
irgend etwas von herkömmlich universeller Richtung; sie ergingen sich in mehrerlei Gebieten, die eigentlichen Dichter beispielsweise seit dem 18. Jahrhundert neben dem Lyrischen, was ihnen stand, auch im
Dramatischen, was ihnen theils nicht, theils nicht sonderlich stand. Bürger hat dagegen die ganze Kraft seines Geistes auf das Lyrische concentrirt und hiemit das getroffen, was der deutschen Stammesanlage am
Meisten gemäss gewesen. Diese Einschränkung sieht nun für den oberflächlichen Betrachter wie eine Beengtheit aus, ja erscheint sogar als ein Mangel, wird aber für den überlegenden zu etwas Natürlichem, ja zu einem
Vorzug.”
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1893
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Heuberger, Richard. Wiener Musikbrief. In: Zweites Morgenblatt Nr. 87 der Allgemeinen Zeitung, 28.03.
“Hätte
Rubinstein nach dem langweiligen Oratorium auch nur e in Stück auf dem Clavier gespielt, jeder Mensch im Saal hätte den Titel desselben errathe.: ´Fas wiedergefundene Paradies.´ - Am Tage nach diesem Concert war es
einer kleinen Schaar auserwählten Volkes gelegentlich einer halböffentlichen Soiree bei Baron Todesco gegönnt, den meister am Flügel zu bewundern. Er spielte nur eigene Compositionen, darunter eine schauderhafte
Phantasie über Bürgers ´Leonore´. Somit hat er sein Incognito bis zum Schluß seines Wiener Aufenthalts bewahrt.”
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1893
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Leipziger Tageblatt und Anzeiger 27.12.
"Auch die Satire auf die Heirathsbureaux, an welche sich der mit mehreren Töchtern gesegnete alte Spangenberg wendet, hängt damit zusammen; doch ist dies Alles nicht in dramatische
Handlung umgesetzt; das Mauerblümchen des Stückes, Franziska, macht dieser Bezeichnung wenig Ehre; denn sie blüht so wenig abseits vom Wege, daß nicht nur ein alter Herr mit ihr durchs Leben polken will, sondern daß
auch der junge Neffe des verlobten Onkels sich in sie verliebt und sie am Schluß sich erobert, nachdem er bereits sein Dänenroß gesattelt, um in die Fremde zu ziehen."
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1894
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Heilborn, Ernst. G. A. Bürger. Zu seinem hunderjährigen Todestage. In: Die Nation. Berlin. (Sammlung Helmut Scherer)
“[S. 526] Auf Gottfried August Bürger´s Grab zum 8. Juni, seinem hundertjährigen Todestage, ein Denkmal zu setzen, ist vor Kurzem ein Aufruf erschienen. Man sollte in den Stein die
Liederanfänge graben: - ´Lenore fuhr ums Morgenroth empor aus schweren Träumen´, ´Hoch klingt das Lied vom baraven Mann, wie Orgelton und Glockenklang´; ´O, was in tausend Liebespracht das Mädel, das ich meine,
lacht´; ´Mädel schau mir ins Gesicht! Schelmenauge blinzle nicht´; ´Knapp sattle mir mein Dänenroß, daß ich mir Ruh´erreite´; ´Ich will Euch erzählen ein Märchen, gar schnurrig´; ´Der Wild- und Rheingraf stieß ins
Horn´. Das sind die Anfangsworte der Gedichte, die von ihm lebendig geblieben sind. Es ist Vieles, das noch heut, nach hundert Jahren, von ihm lebt. Ein großer Theil seiner Gedichte gehört
zu denen, die man als Kind in der Schule auswendig lernt. Und nennt man die Namen der wenigen deutschen Dichter von Hans Sachs bis hinauf zu Anzengruber, die fest im Deutsch-Volksthümlichen gewurzelt haben, so muß
man darunter den Namen Bürger´s nennen.
[S. 528] Man muß Goethe´s Briefe an Bürger in ihrer Reihenfolge lesen, um die Wandlung voll zu begreifen, die damals vor sich ging. Zuerst war Bürger für Goethe der
Meister und Mitkämpfer; dann wurde er der unbequeme Bittsteller; schließlich war er die anrüchige Persönlichkeit, die noch dazu höchst unbequem an jugendliche Geschmacksverirrungen erinnerte. Und Schiller war es
dann vorbehalten, Bürger den Gnadenstoß zu versetzen. Er that es in seiner Rezension Bürger´scher Gedichte, die in den Worten gipfelte: ´eine nothwendige Operation des Dichters ist Idealisirung seines Gegenstandes,
ohne welche er aufhört, seinen Namen zu verdienen´. Goethe und Schiller waren eben selbst andere geworden. Vielleicht wäre Bürger dazu berufen gewesen, der einseitig antikisirenden und idealisirenden
neuen Richtung kraftvoll entgegenzuwirken. Haltlos, wie er war, versuchte er einzulenken. Er wurde ängstlich in Form, farblos in Inhalt.“
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1894
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Fontane, Theodor . Werke, Schriften und Briefe. Abteilung IV, Vierter Band 1890-1898. München 1982. S.337. Brief an August von Heyden.
„Im allgemeinen ist es nicht blos grausam, sondern auch ungehörig, Freunden dergleichen ins Haus zu schicken, aber hier ist vielleicht ein Ausnahmefall gegeben;ich kann mir nämlich kaum
einen ordentlichen Deutschen vorstellen, der nicht Bürger-Schwärmer wäre. Als Balladier steckt er doch den ganzen Rest in die Tasche; der Ruhm Bürger's hat mir immer als ein Ideal vorgeschwebt: ein Gedicht [Lenore]
und unsterblich“.
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1894
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Schlenther, Paul. Gottfried August Bürger. In: Sonntagsbeilage No. 23. zur Vossischen Zeitung. 10. Juni [Die Seitenangaben beziehen sich wegen des im Original dreispaltigen Drucks auf die zugehörige pdf-Datei]
“[S. 7] Wie ein Bildhauer wohl bestrebt ist, im Bildniß der todten Geliebten sein Meisterwerk zu schaffen, so ging auch Bürger darauf aus, für das Gedächtnis seiner Molly das Beste zu
leisten, was ihm je gelungen ist. Er verläßt sich nicht mehr allein auf die Eingebungen des Augenblicks, sondern er ist bemüht, seiner dichterischen Kunst die feinsten Formenreize abzugewinnen. So entstanden zwei
Jahre nach Mollys Tode die vielumstrittenen Sonette und das Hohelied von der Einzigen. Das Hohelied ist nicht das Feurigste, auch nicht das Mächtigste, was Bürger geschaffen hat, aber es ist sein erhabenstes Lied.
Der Realist verwirklicht hier sein Ideal, indem er die Verklärte als eine Lebende feiert, frei von allen Schlacken des Irdischen und doch ein wandelndes Menschenbild. In die Sonettendichtung tritt man wie in ein
Mausoleum. Molly liegt in marmorner Leichenschönheit da. Alles was einst lebendig war, scheint wieder aufzuleben, und doch ist Todeskälte drüber hingebreitet. Die Wehklage um ihren Verlust faßt sich in verhaltne
Trauer, dem ernsten Auge fehlen schon die Thränen. Nie sind dem feiervollen Schweigen in Todesnähe schönere Worte gegeben als hier. Und wie man einen Gedächtnißtempel gern mit Bildern aus dem Leben des Umtrauerten
schmückt, so werden auch dem trauernden Dichter Eindrücke wieder gegenwärtig, die weit hinter ihm liegen: sein verbotenes Glück, sein langes Werben.
[S. 8] Das Siegel seiner Vollkommenheit, sagt er, ist die
Popularität eines poetischen Werkes. Poesie ist Nachbildnerei. Alle Bildnerei ist in der Endwurzel Darstellung (nicht Nachahmung) des Urgegenstandes. Darstellung aber ist Spiegel und Spiegelbild. So kommt schon
Bürger dazu, die Kunst als Wiedergabe des Natureindrucks zu fassen. Von der temporären Wirklichkeit, unter der so oft die Natur des modernen Naturalismus einseitig und engherzig verstanden wurde, hat sich allerdings
kein Dichter weiter entfernt, als Bürger, der gerade über diesen Punkt mit Nicolai, dem Obmann der Berliner Aufklärung, hart an einander gerieth. Wenn sich heutige Realisten, durch den Kuß der Erde antäisch
gestärkt, nicht mehr allein damit begnügen, das von ihnen selbsterlebte oder miterlebte Ilic et Nunc darzustellen, sondern wenn sie, wie es alle große Dichtung thut, auch stofflich in die Welt der Träume, der
Phantasien, der Symbole, in das, was Goethe ´die dritte Welt´ genannt hat, übergreifen, so werden sie von Freund und Feind des Treubruches am eignen Prinzip beschuldigt. Gegen Bürger konnte ein so kurzsichtiger
Einwand nie erhoben werden. Denn Bürgers Welt hatte von jeher mehr als drei Dimensionen; seine stärkste Kraft setzte er stets darein, Uebersinnliches zur sinnlichen Anschauung zu bringen. Von seinem
rationalistischen Nützlichkeitsstandpunkt hatte Herr Daniel Seuberlich=Nicolai mithin nicht unrecht, wenn er dem Herrn Daniel Wunderlich=Bürger vorwarf, durch die poetische Verwerthung von Hexen und Gespenstern
würde der alte Köhler- und Aberglaube wieder ins Volk getragen werden. Wie man heute gegenüber den psychopathischen Wagnissen moderner Dramatiker um die Seelenruhe und Nervenpflege des Publikums besorgt wird, so
fürchtete damals Nicolai für die mühsam eroberte Herrschaft der Vernunft. Und wie heute die poesielose Konsequenz jener Besorgniß vor allem einen Tragiker wie Shakespeare träfe, so trug Nicolai nicht das leiseste
Bedenken, die von Bürger übersetzten Hexenscenen des Macbeth als vernunftwidrig und kulturfeindlich zu perhorresziren.
[S. 11] Der Dichter dürfe nicht zum Geschmack der Menge herabsteigen, sondern er müsse
als der aufgeklärte verfeinerte Wortführer der Volksgefühle, als ein sittlich ausgebildeter, vorurtheilsfreier Kopf die Masse zur reinsten herrlichsten Menschheit hinaufläutern. Maßstab des Publikums sei der
gebildete Mann. Nur der sei ein Dichter, der mit reinen und gebildeten Händen den reinen, vollendeten Abdruck der interessanten Gemüthslage eines interessanten vollendeten Geistes zu geben vermag. Der Popularität
dürfe nichts von der höhern Schönheit aufgeopfert werden. Unwillkürlich weicht der Kritiker vom Bürgerschen Popularitätsbegriff zum Schillerschen Schönheitsideal aus, die beiden großen künstlerischen Pole,
Idealismus und Naturalismus, stehn hier einander schroffer gegenüber, als je vorher oder nachher. Weil sich Bürger das Schönheitsideal Schillers nicht zum Ziele setzte, darum genügt er ihm nicht. Der unbefangne
Kritiker überläßt mitten in der Erörterung dem parteiischen Mitpoeten das Wort. Schiller selbst rang sich von seinen kraftgenialen Anfängen durch philosophische und geschichtliche Studien zu einem neuen
dichterischen Ziele hin. Um sich mit seiner eignen Vergangenheit ab- und in das Neue hineinzufinden, brauchte er für den inneren Feind, den er in sich selbst vernichtete, ein äußerlich sichtbares und
gegenständliches Zeichen. Dies fand er an Bürgers Gedichten. Seine Rezension ist der endgültige Abfall des Kabale und Liebe-Dichters vom radikalen Realismus. Mit der Begeisterung und Leidenschaftlichkeit des
Renegaten flog er dem neuen Kunstziel entgegen und entfernte sich dadurch von Bürger so weit, daß er für die Art und Kunst dieses wesentlich Andern, der sich selbst treu geblieben war, allen gerechten Maßstab
verlor. Hierin liegt die naive Grausamkeit seiner namenlosen Rezension, und für die Urtheilsfreiheit späterer Aesthetiker und Literaturhistoriker ist es ein schlechter Beweis, daß Schillers subjektives Verdikt ein
volles Jahrhundert lang den Geschmack an Bürger regelte, ohne daß irgend einer der schöngeistigen Nachtreter jenen psychologischen Prozeß, den Schiller durchmachte, an sich selbst erfahren hätte. [...] Aber
Schillers Richtschwert blieb nicht in den Travestien stecken. Es schlug auch auf die Mollylieder ein. Schiller verfaßte die Rezension in einer Zeit, wo seine Neigung zu Lotte Lengefeld stark und edel aufblühte, ohne
daß er fähig gewesen wäre, seinen reinen und tiefen Herzensempfindungen irgend einen liebeslyrischen Ausdruck zu geben. Er schrieb über dieses zarte Verhältniß recht schöne Briefe an seine Schwestern, aber der Muse
flüsterte er nicht das geheimste Wörtchen ins Ohr. Wenn über Gebühr oft die hagre Formel nachgebetet wurde, Goethe sei zwar ein Lyriker, aber kein Dramatiker gewesen, so hätten unsre ästhetischen Schulmeister viel
eher verkünden dürfen, Schiller sei zwar Dramatiker, aber kein Lyriker gewesen. Es ist wohl nicht nöthig, daß ein geborner Lyriker lyrische Gedichte drucken läßt. In vielen Gemüthern lebt eine stumme Lyrik. Daß in
Schiller auch diese Art von Lyrik nicht waltete, beweist sein mangelhaftes Verständniß für die Mollylieder, deren schönstes ´An die Menschengesichter´ er mit der ´Frau Schnips´ und mit ´Fortunas Pranger´ verächtlich
zusammenwirft. Nur ein Unlyriker konnte es tadeln, daß diese Mollylieder nicht blos Gemälde, sondern auch Geburten einer eigenthümlichen Seelenlage sind. Wenn Schiller den lyrischen Dichter davor warnt, mitten im
Schmerze den Schmerz zu singen, und dabei auf den Schauspieler exemplifizirt, der durchaus nicht das, was er darzustellen habe, selber empfinden dürfe, so berührt er eines der ungelösten Kunstprobleme, dessen Lösung
im Schillerscher Sinn die Weimarische Theaterschule allerdings voraussetzte, das aber noch heute höchst fragwürdig dasteht. Wenn Schiller die bei Bürger so beliebten onomatopoetischen Naturlaute, wie Klinglingling
und Hopphopphopp für kindisch erklärt, so wäre ihm dienlich gewesen, einen nicht in Weimar gebildeten Sprecher zu hören, der im ´wilden Jäger´ oder in der ´Lenore´ diese Naturlaute zur gewaltigsten Wirkung brächte.
Wenn Schiller von einem Lyriker verlangt, daß er das Individuelle und Lokale zum Allgemeinen erhebe, so verschließt er sich dadurch dem herzbewegenden Einblick in ein bewegtes Menschenherz. Und wenn er Sätze
aufstellt wie diese: ´Eine nothwendige Operation des Dichters ist Idealisirung seines Gegenstandes, ohne welche er aufhört, seinen Namen zu verdienen;´ oder ´Der Dichter muß sich von der Gegenwart loswickeln und
frei und kühn in die Welt der Ideale emporschweben´, so läßt sichs begreifen, daß unter dem entscheidenden Einfluß, den Schillers Rezension über Bürger auf die Fortentwicklung deutscher Dichtkunst gewonnen hat,
unsrer ästhetischen Schulweisheit die Naturkraft des niedersächsischen Bauernenkels widerstand. Bürger, den der stark persönliche Angriff des Ungenannten in trübsten Lebensverhältnissen traf, raffte sich zu einigen
schwächlichen Repliken auf und wurde an sich selbst so irre, daß er anfing, in seinen Gedichten nach Schillerschen Rezepten herumzukuriren. Aber einen starken Moment hatte er in diesem Kampfe doch: als er sein
Spottgedicht ´Der Vogel Urselbst´ schrieb, das, obwohl oder weil es gegen Schiller gerichtet ist, noch niemals nach Gebühr gewürdigt wurde. Es ist eine der glücklichsten literarischen Revanchen, die wir besitzen,
und zeigt den niedergetretnen Dichter noch einmal aufrecht dastehn in der ganzen Vollendung seiner poetischen Formen und seines selbständigen Geschmacksbewußtseins.
[S. 12] “Wer weiß wo jetzt ein Küchlein
noch im Neste gebrütet wird, das in zwey, drey Jahren uns alle überfligt”, hatte Bürger 1778 geweissagt. Nach drei Jahren kam aus dem für Bürger auch sonst so verhängnißvollen Schwabenlande das Küchlein geflogen. Es
war auch ein wilder, schöner Waldvogel und brachte ´Die Räuber´. Nicht Bürger, sondern Schiller gewann die Bühne und führte sie nach seinem Sinn empor. Auch als Uebersetzer drang Schiller in die eigentliche Domäne
Bürgers ein, auf das Shakespearegebiet, das Macbethgebiet. Ein Vergleich der beiden Bearbeitungen ist überaus lehrreich für den ganzen großen Unterschied der beiden Dichter. Er öffnet weite Perspektiven auf das, was
die deutsche Bühnendichtung unter Schillers Einfluß geworden ist, was unter Bürgers Einfluß aus ihr hätte werden können. Bei Bürger Wucht, bei Schiller Glanz; bei Bürger Naturlaute, bei
Schiller fließende Rede; bei Bürger charakteristischer Ausdruck, bei Schiller schöner Stil; bei Bürger stählerne Prosa, bei Schiller silberne Verse; bei Bürger Individuen, bei Schiller Typen; bei Bürger Kerle und
Weiber, bei Schiller Herren und, selbst im Hexenbrodem, Damen; bei Bürger Brachfeld, aus dem der Duft der Erde steigt, bei Schiller geeggtes Land, auf dem die Himmelssonne scheint; bei Bürger Shakespeare, bei
Schiller Schiller. Bürgers Beispiel wirkte auf seinen Lieblingsschüler A.W. Schlegel, mit dem er noch in letzter Lebenszeit am ´Sommernachtstraum´ arbeitete, und dem er so den Grund zur klassischen, aber höchst
unschillerischen Shakespeareübersetzung legte. Aber Bürgers eigne dramatische Kraft blieb unbenutzt, Schiller hingegen dichtete im Stil seiner Macbethübersetzung alle späteren Trauerspiele und eroberte sich damit
die Nation. Seit hundert Jahren ist er der Herr im Hause deutscher Dichtung. Von seinem Pol aus hat er die poetische Welt gelenkt. Aber diese Welt bleibt nicht im Gleichgewicht, wenn der Herrschersitz nicht
bisweilen wechselt. Und wohin unsre junge Zukunftskunst mit allen ihren Kräften auch streben und steuern mag, irgendwo wird ihr der Geist Bürgers erscheinen. Auch ihm gilt ein Spruch der Schicksalsschwestern seines
Macbeth: es war ihm nicht wie diesem beschieden, durch eigne Gewalt ein König zu werden; aber wie der wackre Kriegsgefährte Banquo, der kläglich endete, kann er Könige zeugen."
Schlenthers Beitrag in der Vossischen Zeitung in der ONLINE-BIBLIOTHEK
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1894
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Grisebach, Eduard. Biographische Einleitung. In: G. A. Bürger´s Werke.
“[S. XLI] Hatte aber die Schänderin seines Hauses [seine dritte Gattin] den Menschen Bürger in´s Mark getroffen, so litt er vielleicht noch mehr durch die berüchtigte anonyme Recension seiner Gedichte, in der Jenaer Litteraturzeitung von 1791, besonders seit er, erst spät, erfuhr, daß Schiller der Verfasser gewesen, denn durch diese Kritik wurde seine Individulität als Dichter an den moralisch-ästhetischen Schandpfahl gestellt. Die Gegenwirkung gegen diesen Angriff hat den Sänger der Lenore bis zum letzten Athemzug beschäftigt. [...] Schade ist es, daß Bürger gegen Schiller´s Vorwurf: “seine Muse trage einen zu sinnlichen, oft gemeinsinnlichen Charakter” und auch dem Hohen Liede fehle die “idealische Reinheit und Vollendung” - schade, daß er sich dagegen nicht auf den schönen Ausspruch Goethe´s berufen,
den H.L. Wagner 1776 aus “Goethe´s Brieftasche” veröffentlicht hatte: “Was der Künstler nicht geliebt, nicht liebt, soll er nicht schildern, kann er nicht schildern. Ihr findet Rubenses Weiber zu fleischig! Ich sage
euch, es waren seine Weiber, und hätt´ er Himmel und Hölle, Luft, Erd und Meer mit Idealen bevölkert ... es wäre nie kräftiges Fleisch von seinem Fleisch und Bein von seinem Bein geworden.”
Grisebachs vollständige Bürger-Ausgabe von 1894 in der ONLINE-BIBLIOTHEK.
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1894
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Fontane, Theodor. Briefe an seine Freunde. Zweiter Band. 1925.
“[Brief an Paul Schlenther, 9.Juni 1894] Da mein Briefschreiberuf nun doch mal feststeht (...Wenn er seinen Ruf verliert, Lebt der Mensch erst ungeniert...), so sehe ich nicht ein,
warum ich Ihnen für Ihren Bürgeraufsatz nicht danken soll. Entzückend ist die Parenthese: ´Darf ich sagen so glücklich.´ Übrigens ist in dem wundervollen Gedicht [Des Pfarrers Tochter von Taubenhain] die Strophe:
Und als der Herbstwind über die Flur Und über die Stoppel des Habers fuhr usw. doch schöner.
[Brief an Friedrich Stephany, 2.Juli 1894] Sehr interessant war auch der Schlußartikel unseres Schlenther über Bürger. Der Artikel hat eine literarhistorische Bedeutung, weil er
fixiert, was seit lange in der Luft schwebt: Nationales und Volktümlichkeit gegen das Schillertum als etwas halb Fremdes. Die Sache war schon öfter da, aber der Ausgangspunkt (Bürger) ist hier neu."
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1894
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Düsel, Friedrich. Gottfried August Bürger. In: Die Grenzboten. Zeitschrift für Politik, Littertur und Kunst.
"[S. 449] Die geschäftige Totenschaufel einer erbärmlichen Kalenderpietät hat oft genug Gräber aufgewühlt, über die Mutter Erde in ihrer Weisheit und alles zudeckenden Milde längst
den Rasen der Vergessenheit gezogen hatte, und deren stillen Leuten mit allem Beschwörungspathos der Odem des Lebens nicht mehr einzuhauchen war. Noch öfter vielleicht aber hat kritikloser Übereifer mit seinem
unfruchtbaren Phrasenschwall den bescheidnen Gedächtnishügel vollends verschüttet, der einem Braven der Vergangenheit sonst sicher gewesen wäre; denn das Nil nisi bene blüht für die Namen der Geschichte nicht. Aber wem man den Lorbeer nicht aufs Grab legen darf, dem gebührt deshalb vielleicht doch ein schlichter auf Feld und Flur zusammengelesener Blumenkranz der Erinnerung; wen ein prunkvolles Denkmal erdrücken würde, dem wäre vielleicht eine einfache Gedenktafel ein würdiger, verdienter Schmuck. Das gilt auch von Gottfried August Bürger. Trotz allem Rohen und Verzerrten, das ihm anhaftet, wird man ihn doch immer als den gewaltigen Balladendichter bewundern und ihm in der Geschichte unsrer Lyrik und Übersetzungslitteratur ein ehrenvolles Andenken gönnen.
[S. 451] Dem Sumpfe, in den ihn der liederliche Klotz und seine weibliche Sippschaft lockte, hat ihn nur der Umgang mit Boie, sein reines Verhältnis zur Hofrätin Listn und dann seine
Liebe zu Molly zeitweise enthoben, bis ihn Elise Hahns dirnenhafte Gemeinheit völlig darin erstickte.
[S. 452] Besonders geschäftig und eilig hatte es Bürger, denn seiner kecken, frischen Manier, die die ´goldpapiernen Amors und Grazien,´ wie sich der junge Goethe ausdrückte, burschikos
verschmähte, klang diese neue Botschaft ´von deutscher Art und Kunst´ natürlich wie ein erlösendes Evangelium. Der Ton, den Herder auferweckte, der schon lange auch in seiner Seele auftönte, hat ihn nun ganz
erfüllt; seine Lenore ist die gleich darnach im ersten Herbst gereifte saftige Frucht dieser Begeisterung.
[S. 454 ] Dieser Anbetung und Götzendienerei der Popularität hält unter Bürgers ästhetischen Bekenntnissätzen nur noch der Grundsatz des krassesten Naturalismus die Wage. Die moderne
Lehre vom milieu ist ihm nicht fremd, und seine Auslassungen über die praktische Stoffwahl muten uns wie ein Ausschnitt aus Zolas Theorien an. [...] Daß ein Dichter, der solche Bekenntnisse that, Schillers heiligste
Entrüstung hervorrief, kann nicht Wunder nehmen. Die Rezension in der Jenaischen Allgemeinen Litteraturzeitung vom Jahre 1791 ist so bekannt, daß ich hier nicht darauf einzugehen brauche. So groß und erhaben der
aufgestellte Maßstab, so einseitig, schroff und ungerecht ist er auch. Das hieß denn doch aus den metaphysischen Wolken herabgesprochen, anstatt mit dem Rezensirten unter eignen Dache Zwiesprache halten. Wieviel
gerechter erscheint neben dieser harten ´eisernen Elle´ die weiche ´Schmiege´ des jungen Schlegel! Kann mans dem Dichter der Lenore verargen, wenn er sich diesen Schurigeleien gegenüber auf das gute Recht des Genius
berief, dem Charakteristischen zuliebe auch einmal eine scharfe Würze an die Speise zu thun, und kann mans ihm, der zu allen innern Martern nun auch noch öffentlich so unbarmherzig gestäupt wurde, dem in demselben
Jahre auch die unselige Dirne aus Schwaben noch ihre Stacheln ins Herz stieß, nicht nachverstehen, wenn er einige Tropfen seiner Galle auch gegen Schiller spritzte? Tief im Innern geschmerzt und erschreckt hat ihn
dieser Jenaer Richterspruch, bekehrt hat er ihn nicht, denn alle Zugeständnisse, die er den idealisirenden Forderungen Schillers für die dritte Ausgabe seiner Gedichte gemacht hat oder machen wollte, sind rein
äußerlicher Natur und beschränken sich allein auf die Korrektheit der Form.
[S. 456] Urwüchsige Kraft und Originalität, eine starke Neigung zu volkstümlichen Bildern, Pariaswörtern und bezeichnenden Idiotismen, die nach Lenzens Ausdruck ´weder in der Grammatik
noch im Wörterbuch stehen,´ und eine verächtliche Abkehr von der ´konventionellen Büchersprache´ weisen ihn aber immerhin auch hier zu dem von Herder geführten Chor des Sturms und Drangs.
[S. 510] Wie schon gesagt, bewog Schillers strenge Rezension Bürger trotz seiner energischen äußern Reaktion doch zu einer Durchsicht und spätern formalen Umarbeitung einzelner
Gedichte. Mehr als einmal schnitt er seiner lebendigsten Poesie dabei so tief ins Fleich, daß ihr alles Blut entrann. Zum Glück sind von dieser Mißhandlung seine Balladen nicht mehr betroffen worden. Darüber darf
man sich um so mehr freuen, als man in diesen doch immer zuerst Bürgers historischen und ästhetischen Maßstab suchen wird. Welchen unersetzlichen Verlust würde unsre Litteratur durch ihre idealisirende
Überarbeitung, etwa im Geiste des frommen Fridolin, erlitten haben! Nein, gern erkennen wir von Gleims Berliner Mord- und Schauerballade bis zu Goethes Erlkönig einen steten, fröhlichen Fortschritt an, aber Bürgers
Lenore und Wilder Jäger, Bruder Graurock und Armes Suschen bezeichnen auf dieser Stiege eine Stufe, die wir nicht entbehren möchten.
[S. 511] Den entscheidenden Stoß aber, der die deutsche Ballade aus der niedern, gequetschten Gassensphäre in die freie Himmelshöhe der Poesie emporhob, gab ihr erst Bürger. Freilich
entrichtet auch er noch der burlesken Manier seinen reichlichen Zoll, und die vollendete Lenore hat Nachfolger wie Frau Schnips, die Weiber von Weinsberg und den Hechelträger. Aber daß die Lenore kein bloßer blinder
Treffschuß war, zeigt die übrige Balladensaat desselben Jahres: des armen Suschens Traum und der wilde Jäger - denn die spätern Früchte der alten Zwittergattung sind eher sich selbst ironisierende Wechselbälge, als
Kinder einer bewußten Kunstübung, die vor sich selber Ernst zu halten imstande wäre. Jedenfalls sind die Denkmäler seiner ernsten, poetisch würdigen Balladendichtung zahlreich, dicht und großartig genug, den
ästhetisch und historisch abwägenden Blick festzuhalten und den Aufschwung der deutschen Ballade auf seinen Namen zu taufen.
[S. 514] Dieses Gebot völliger innerer Übereinstimmung zwischen Inhalt und Form, der organischen ´Ineinsbindung´ beider, wie es die neuere Ästhetik nennt, bezeichnet den
Hauptfortschritt in Bürgers Sonettentheorie. Seine Vorgänger hatten immer nur hier das Gefäß, hier den poetischen Gedanken gesehn und sich bemüht, diesen in jenem unterzubringen; Bürger zuerst begriff die Kunst, die
poetische Eingebung schon im Werden sonettenhaft zu bilden, sodaß sich Gedankenkeim und Formenhülle dann ungezwungen zu einem Blütenkelch entfalten könnten.
[S. 515] Weder der Vorwurf, seine Sonette seien zu kleinlich und niedlich und entbehrten des gediegenen Gedankeninhalts, den der Formenkünstler der Romantik [Voss] erhebt, noch die
Kritteleien, die der Verfasser des ´Spottsonetts´ und der ´Zeitmessung der deutschen Sprache,´ dem nach Goethes treffenden Ausdruck ´für lauter Prosodie längst die Poesie abhanden gekommen war,´ an dem innern
Wohlklang und der Behandlung des Stoffes übt, treffen auf die Mollysonette zu, so ungern man auch in ihnen den für das Sonett nun einmal innerlich geforderten Jambus durch den zu energischen Trochäus verdrängt
sieht. Durchaus überzeugend weiß deshalb auch Heinrich Welti, der Verfasser der ´Geschichte des Sonettes in der deutschen Dichtung´ (Leipzig, 1884), Bürgern den Ruhmestitel des ´ersten bedeutenden deutschen
Sonettendichters´ zu wahren. Zur Charakteristik der äußern Technik der Bürgerischen Sonette mag noch angeführt werden, daß sich gegenüber der anfänglichen Willkür in der Reimstellung des ersten Strophenpaares bald,
unter Petrarcas wachsendem Einfluß, die feste Regel der Reimverschlingung (a b b a) durchsetzt, daß aber das Reimgeschlecht bis zuletzt keinem ausschließlichen Gesetz unterworfen wird. Sonst braucht zum Lobe der
entzückenden Grazie und der hinschmelzenden Leidenschaft, der rührenden Wehmut und der traumverlorenen Erinnerung, worin die Liebe zu Molly ihre poetische Verklärung gefunden hat, nichts weiter gesagt zu werden.
[S. 542] Und doch waren auch Bürgers Übersetzungen seiner Zeit nicht so unwürdig, hangen auch nicht so verloren in der Luft, wie man wohl behauptet hat, sondern haben ihre Wurzeln in
den Anschauungen und in dem Geiste seiner Zeit, werfen ihre Samenkörner in den Boden einer spätern, höhern Kunst und sind deshalb wohl wert, auch jetzt nach hundert Jahren noch einmal im Zusammenhang betrachtet zu
werden.
[S. 545] Heute wird es uns leicht, bei den vielen Wunderlichkeiten und Übertreibungen Bürgers ein mitleidiges Lächeln aufzusetzen, und wir begreifen nur mühsam, wie Goethes und Wielands
Geschmack diesen Homer erträglich finden konnte.
[S. 549] Doch sind nicht alle seine Abweichungen von Schröders Text gleich unglücklich: wo er über diesen hinaus Shakespeare einen Schritt näher geht, erobert er häufig ein verlornes
Wortspiel, eine übersehene Anspielung oder ein bezeichnendes Bild zurück. Genug: ein Caliban [Unhold aus Shakespeares Der Sturm], wie man wohl gesagt hat, ist dieser Macbethübersetzer nicht, und nicht umsonst hat
seine Arbeit fast zwei Jahrzehnte lang mit der ´fürchterlich schönen´ Musik von Reichardt die deutschen Bühnen beherrscht: auch Schiller, so sehr er sich gegen die ´Pfuscherey der Hexengesänge´ empört, steht in
seiner ersten Bearbeitung durchaus unter ihrem Bann.
Düsels dreiteiliger Beitrag in der ONLINE-BIBLIOTHEK.
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1894
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Aufruf zur Errichtung eines stattlichen Grabsteins für Bürger. In: Euphorion.
“[S. 236] Am 8. Juni 1894 werden es 100 Jahre, seit Gottfried August Bürger die Augen schloß. Die zerstörende Macht der Zeit, die mit unerbittlicher Gerechtigkeit das Echte und Dauernde
sondert von dem Vergänglichen, sie hat den Dichter der Lenore nur leise berührt. Noch heute bewegt der Meister der volkstümlichen deutschen Ballade in ursprünglicher Kraft die Herzen seines Volkes bis in die
breitesten Schichten hinein, mit heiligem Schauer sie füllend und mit heiterm Behagen. Noch heute packt uns die ungestüme künstlerische Wahrhaftigkeit, mit der in Bürgers Lyrik ein leidenschaftlich glühendes Herz
seine innersten Tiefen bloß legt, mit der erregenden Frische der ersten Augenblicks. Ein würdiges Denkmal ist dem Dichter nicht einmal in Göttingen errichtet worden, der Stadt, die
Zeuge war, wie der jugendliche Adler des Hains die Flügel zu mächtigem Aufschwunge hob, der Stadt, die den in Sturm und Drang Erschöpften ringen und sterben sah. Wir hoffen, daß der mahnende Gedenktag Gelegenheit
giebt, eine alte Schul abzutragen. Aber wir denken nicht an ein anspruchsvolles Standbild. Nur die verwitterte Denksäule, die heute Bürgers versteckte Ruhestätte kennzeichnet, möchten wir ersetzen durch einen
stattlichen Grabstein, den Künstlerhand mit der Büste oder dem Reliefbilde des teuren Sängers schmücken soll, und wir bitten alle Freunde des Dichters, unsern Plan zu unterstützen.
[Auswahl der Unterzeichner] Prof. H. Althof Weimar R.v. Bennigsen Oberpräsident der Provinz Hannover Th. Fontane Berlin
Prof.J.Minor Universität Wien H.Pröhle Berlin Prof.A.Sauer Universität Prag
P.Schlenther Redakteur Vossische Zeitung, Berlin F.Schnorr v. Carolsfeld Oberbibliothekar, Dresden K.Schüddekopf Roßla K.Weinhold Rektor Universität Berlin”
Der vollständige Aufruf in der ONLINE-BIBLIOTHEK
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1894
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Illustrierte Zeitung
“um die Wiedererweckung unserer deutschen Volkspoesie hat sich kaum ein anderer Dichter des 18. Jahrhunderts ein so hervorragendes Verdienst erworben wie Gottfried August Bürger; das
Herz des Volkes hat kein anderer Balladendichter wieder so tief erschüttert und gerührt wie der Sänger der ´Lenore´[...] Schon seine lyrischen Gedichte, mit denen er zunächst hervortrat, fanden
großen Beifall in weiten Kreisen; die Innigkeit und Gefühlswärme, die aus diesen Liedern und poetischen Bildern sprach, machte auf alle empfänglichen Herzen einen tiefen Eindruck, der gefällige, oft
schalkhaft-humoristische, immer echt volksthümliche Ton gewann selbst die prosaischen Naturen.[...] In seinen weiteren Balladen, ´Das Lied vom braven Mann´,[...] erreichte Bürger die Höhe der
´Lenore´ nicht wieder. Hier verfiel er bei seinem Bestreben, den volksthümlichen Charakter noch lebhafter auszuprägen, wiederholt in den Bänkelsängerton, und außerdem neigte er mehr und mehr zur Ueberladung in der
Tonmalerei.”
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1894
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Doenges, Willy. Zum hundertjährigen Todestage Gottfried August Bürger´s.
„Wie berechtigt auch immer das absprechende Urtheil sein mag, das die Welt über Bürger´s Leben und seine damit in engstem Zusammenhang stehende dichterische Entwicklung fällt, so muß
man doch zugeben, daß neben den Werken der drei Dichterheroen unserer classischen Periode, Lessing, Goethe und Schiller, die Dichtungen keines anderen deutschen Dichters eine so bleibende Volksthümlichkeit sich
bewahrt haben, wie die Bürger´s. Wie seine Lenore bei ihrem ersten Erscheinen im Siegeslauf die Welt durchflog und gleicherweise in die Tiefen wie zu den Höhen des Volkes drang, so lebt sie auch heute noch,
nach mehr als hundert Jahren, in Jedermanns Munde. [...] Und wie manche deutsche Jungfrau griff, als zuerst die Liebe an ihrem jungen Herzen anklopfte, verstohlen nach Bürger´s Mollyliedern und berauschte
sich an den süßen, zaubervollen Tönen, die aus ihnen uns entgegenklingen, die uns willenlos mit sich fortreißen zu den höchsten Höhen des Glückes, wie zu den tiefsten Tiefen des Harmes und Leides. [...]
Dieses übergroße Vertrauen auf Andere schuf in Verbindung mit dem stark ausgeprägten Hange zur Sinnlichkeit und einer ungemein großen Sorglosigkeit freilich auch jene unerfreulichen häuslichen
Verhältnisse, die ihn nach und nach aufrieben. Alle diese Eigenthümlichkeiten finden wir in seinen Dichtungen wieder, die durchaus nicht, wie man annehmen sollte, eine Verbitterung und Trübung seines Gemüths
erkennen lassen. Er stand als Dichter über seinem Leben, daher die Frische und Ursprünglichkeit seiner Dichtungen, daher der volle, von leidenschaftlicher Gluth erfüllte Klang seiner Liebeslieder, daher auch der
trotzige Kampfesmuth gegen alles Schlechte und Verderbte. Welche Verdienste er sich um die Einbürgerung der Balladenpoesie in Deutschland erworben hat, wie er zuerst das Verständniß für dieselbe erweckte, wie er
ferner den Geist der Romanze erst richtig begriff und der deutschen Dichtkunst mizutheilen verstand, das brauche ich hier nicht näher zu erörtern; [...].“
Der vollständige Feuilleton-Artikel von Doenges in der ONLINE-BIBLIOTHEK
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1894
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Michels, Victor. Gottfried August Bürger. In: Protokolle über die Sitzungen des Vereins für die Geschichte Göttingens.
“[S.126] Er war keine ideale Natur, kein Mensch, zu dem wir in unbedingter Begeisterung emporschauen, dem wir im Ueberschwang der Empfindung dankbar unser ganzes Herz zum Opfer bringen
möchten. Aber er war ein Mensch, der als Dichter sein Bestes gab; und das will viel sagen.
[S.128] Die Deutschtümelei des Bundes hat auf Bürger am wenigsten eingewirkt. Er hat nie die Maskierung in altdeutsche Barden mitgemacht, in der sich Voß, Hölty, Hahn und Miller eine
Zeitlang gefielen. Er hat allerdings vielfach an ältere deutsche Traditionen angeknüpft.
[S.131] Alte volkstümliche Vorstellungen wurden in seinen Balladen mit Glück wieder zum Leben erweckt. Der Welt des volkstümlichen Aberglaubens, auf die aufgeklärte Männer, wie der
Berliner Friedrich Nicolai, von der Höhe ihrer Bildung verächtlich herabschauten, hat er, durch Shakespeares großes Vorbild geleitet, ihre poetischen Reize abgelauscht. [...] Ein Volksdichter! Das Wort hat auch sehr
einen socialen und politischen Beigeschmack. Mit den unteren Gesellschaftsschichten hielt er innige Fühlung. Das Leben auf dem Lande, mit den Bauern, als Amtmann von Altengleichen, hat auch auf seine Dichtung
gewirkt. [...] Ein Volksdichter war Bürger, indem er politisch Partei nahm für die Bauern gegen die adeligen Herren und Fürsten. Grunddemokratisch war sein Fühlen und Denken. Ein Tyrannenhasser war er, wie so
manches andere Mitglied des Hains.”
Viktor Michels Vortrag zu Bürger in Göttingen in der ONLINE-Bibliothek
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1894
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Thimm, Rudolf. Bürgers Lenore und ihr Verhältnis zur deutschen Volkssage. In: Deutsches Geistesleben
„[S. 156] Und Bürger vermischt sich in seinem Streben nach Volkstümlichkeit, besonders in den späteren Balladen, oft ´mit dem Volke, zu dem er sich herablassen sollte, und anstatt
es scherzend und spielend zu sich heraufzuziehen, gefällt es ihm oft, sich ihm gleich zu machen [Schiller].´ Doch läßt sich das nicht mit Recht von der Lenore sagen: sie ist im besten Sinne volkstümlich, wie sie
denn auch durch Bürgers Bekanntschaft mit dem Volksliede, dieser rührendsten und wärmsten Sprache der Volksseele, veranlaßt war. Für die melodischen, tiefer und einförmiger klingenden Töne der alten
Volksballaden wäre die damalige Lesewelt nicht reif gewesen, aber die Macht und das Schauerliche der Darstellung, das Ungestüm des Verses und der Sprache rüttelte auch die Trägen auf. So wurde Bürger mit einem
Schlage ein Sänger des Volkes.“
Thimms Aufsatz in der ONLINE-BIBLIOTHEK.
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1894
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Sahr Julius. Gottfried August Bürger als Lehrer der deutschen Sprache. In: Festschrift zum siebzigsten Geburtstag Rudolf Hildebrands.
“[S. 352] Wer 1793 noch auf dem vaterländischen Standpunkte von 1773 stand, paßte nicht in die damalige Weltordnung; unmerklich hatte der Zeitgeist eine neue Schwenkung gemacht, vom
Heimischen, Deutschen weg zum Fremden. Die Engherzigkeit deutscher Sprachmeister in Stil, Grammatik und Rechtschreibung, die Wieland und Bürger bekämpften, siegte und legte sich mit bleierner Schwere auf deutsche Lande und Geister; ein Schiller, ein Goethe greifen, um sich in sprachlichen Dingen Rats zu holen, zu Adelung.
Die Dichtung wird ´klassisch´; auf dem Umweg über Rom und Griechenland kehrt sie gegen Ende des Jahrhunderts langsam und zögernd zur Heimat zurück. Die Metrik liegt tief in den Banden des Fremden. Beide sind, eine
Zeit lang, so befangen in dem antiken Schönheitsideal, daß ´klassisch´ und ´deutsch´ sich fast wie Gegensätze feindlich gegenüberstehen: als ob sie nicht für immer hätten Eines sein sollen: als ob in deutscher
Sprache etwas klssisch, das heißt, vollendet schön sein kann, was nicht nach W esen und Form zugleich völlig deutsch ist, oder, um mit Bürger zu reden, als ob etwas nicht durch und durch Deutsches in unserer Sprache ´vollkommen´ sein d.h. sich in völliger Übereinstimmung der Mittel zum Zwecke befinden könnte!
[S. 353] Wir besitzen, was Bürger erstrebte: Seit Jahrzehnten wird die Deutsche Wissenschaft, zu einem herrlichen weitverzweigten Baume entwickelt, an allen Universitäten sorgsam gepflegt, und
niemand wagt, ihr die Gleichberechtigung mit andern Fächern abzusprechen. Ja, das Studium der Muttersprache ist, wo gottbegnadete Priester ihre Lehren verkünden, das geworden, zu dem Bürger es machen wollte: ein
Studium der Weisheit im höchsten Wortsinne. Aber daraus dürfen wir leider noch nicht schließen, daß deshalb auch heute jener Gelehrtendünkel und -Hochmut, an dem Bürgers Streben zu Schanden ward, aus allen Köpfen völlig verschwunden sei. [...] Seltsame Empfindungen überkommen uns, wenn wir das überblicken, was Bürger als Lehrer des Deutschen gewollt und geleistet hat. Er war kein Germanist im heutigen Sinne, das ist klar, aber ein Vorläufer der Germanistik war er doch und zwar einer von scharf ausgeprägter Eigenart. Bewundernswert ist, daß er, ein Mann ohne eigentliches geschichtliches Studium unserer Sprache, eine so richtige Ahnung von sprachgeschichtlichen Vorgängen, von der Entwickelung der Sprache hatte, vor allem, daß er den weitern Gang seines Lehrfaches so klar voraussah und vorhersagte. Bürger zeigt hier, ähnlich wie öfters Herder,
einen wunderbaren geschichtlichen Spürsinn. Bei ihm wie bei Herder empfinden wir wieder einmal lebhaft, daß Dichter Lieblinge der Götter sind; ihrem ahnungsvollen Geiste offenbart sich mehr als gewöhnlichen
Sterblichen; vor ihrem Seherblick lüftet sich der Schleier der Zukunft.”
Der vollständige Beitrag in der ONLINE-BIBLIOTHEK
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1894
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Leimbach, Carl. Balladen und Balladenartiges. In: Emanuel Geibels Leben, Werke und Bedeutung für das deutsche Volk. Wolfenbüttel. Digitalisiert von Google
“[S 252] Im ´Grafenschlosse´nähert er sich der einfachen poetischen Erzählung. Der Inhalt ist ein Gegenstück zu der Bürgerschen allbekannten Schauerballade ´Des Pfarrers Tochter von
Taubenheim´. “
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1894
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Spitta, Philipp. Ballade. In: Musikgeschichtliche Aufsätze. Berlin. (Sammlung Klaus Damert)
“[S. 408] Ballade in der Dichtkunst und Ballade in der Musik sind Begriffe, die sich nicht vollständig decken. Diese setzt jene zwar voraus, ist aber doch über sie nach mehr als einer
Richtung hinausgewachsen, wie solches in andrer Weise bei der Romanze geschehen ist. Die deutsche Ballade als Dichtwerk läßt man von Bürger geschaffen sein; wer Jahreszahlen nötig hat, hält sich an 1773, da die
´Lenore´ entstanden ist. Was Anfang unseres Jahrhunderts in das Empfinden der Deutschen als Balladenform einwuchs, ist freilich noch etwas Anderes, vor Allem etwas viel Geklärteres, und es wird nicht geleugnet
werden können, daß die Reinigung und endgültige Festsetzung des Begriffs durch Uhland vollzogen ist. In Bürgers erzählenden Dichtungen spielen sehr verschiedene Elemente durcheinander. Stark hervortretend ist das
Romanzenhafte im Sinne Schiebelers und Löwens, die parodirend im ironischen Bänkelsängerton unterhaltliche Abenteuer vortragen. Stärker noch ist ihnen der Stempel jenes wüsten, zügellosen Studentenlieds aufgeprägt,
das, eine geschmacklose Mischung von Volks- und Gelehrtenpoesie, doch so nothwendig zum Charakter des 17. und 18. Jahrhunderts gehört; Bürger hatte in Halle studirt, das damals auch in diesem Punkte eine Hochschule
war. Dazu kommt aber der Einfluß der echten, stimmungsvollen Nordländer-Ballade, wie sie der Engländer Percy in seiner berühmten Sammlung 1765 der literarischen Welt zum Geschenk gemacht hatte. Endlich noch ein
Anklang an das Volksmäßig-Kirchliche; er äußert sich meist nur im Bau der Strophen und Zeilen, ist aber für das musikalische Ohr unverkennbar und von den Zeitgenossen nachweislich auch empfunden worden. Es darf
sogar behauptet werden, daß es nicht zum wenigsten dieser Klang gewesen ist, der Bürgers Balladen die rasche Volksthümlichkeit eintrug. Denn der wirkliche Volksgesang bestand damals fast nur noch in den Chorälen der
evangelischen Kirche; was weitgreifende Wirkung üben wollte, that wohl, wenn es irgendwie an sie sich anlehnte. So bunt und einander widersprechend die Ingredienzen von Bürgers Dichtungen nun sind, so geschmacklos
oft ihre Mischungen - ein sicherer Instinct für das Packende, die Gabe großer Anschaulichkeit und ein starkes Temperament waren sein eigen. Er hat eine neue Bahn gebrochen; in der deutschen Dichterwelt war man sich
darüber sogleich klar. Nicht so innerhalb der Kaste der Musiker. Ihnen ward in der Ballade eine neue Form geboten, die sie wohl reizen konnte, der sie aber mit ihren damaligen Kunstmitteln nicht
gerecht zu werden wußten. Die Gesangsmusik hatte sich - wenn man von der Motette und ihrem Spruchtexte absieht - bis dahin nur am strophischen Gedicht und an der Madrigaldichtung entwickelt.
[S. 410]
Johann André aus Offenbach, einer der begabtesten unter jenen deutschen Operncomponisten, die Johann Adam Hillers Singspiel zu Mozarts ´Entführung´ und ´Zauberflöte´ hinüberleiteten, machte den ersten Versuch. Er
componirte die ´Lenore´ für eine Singstimme und Clavier in der Weise, daß in der Regel jede Strophe ihre eigene Musik erhielt; wo im Gedicht Wiederholungen derselben Wendungen, dieselben oder ähnliche Vorgänge sich
finden, bediente er sich auch der gleichen oder doch ähnlicher Tonreihen. Hierdurch und weil der Componist die musikalische Cäsuren gern mit den Schlüssen der Gedichtstrophen zusammenfallen läßt, kommt ein Anklang
an strophische Construction in das Ganze, und dieses ist im Hinblick auf Loewe's viel späteres Wirken wichtig festzustellen. Sonst aber heftet sich die Musk an die Handlungen des Gedichts und läßt sich von ihrem
Sturmritt mit fortnehmen. Diese ´Lenore´ ist viel gelobt worden und mit Recht. Sie vereinigt Einheitlichkeit der Stimmung mit charakteristischer Mannigfaltigkeit: auch der bänkelsängerische Romanzenton, der in den
erzählenden Theilen einige Male angeschlagen wird, erweist sich zur Sonderung der Hauptgruppen der Ereignisse und zur Hebung der schauerlichen umgebenden Vorgänge wirksam. Er fügt einen Zug derber Volksthümlichkeit
ein. Für das Volksmäßige in edlerem Sinne sorgt eine Choralreminiscenz: Horch Glockenklang! horch Todtensang: ´Laßt uns den Leib begraben!´ Dem Componisten ist nicht
entgangen, daß hier der Anfang eines altevangelischen Sterbechorals angedeutet wird: er läßt die Melodie desselben sogar mit ihrem Originaltext eintreten, obwohl dieser sich in das Metrum der Bürgerschen Strophe
nicht ganz fügt. Andrés ´Lenore´ ist gewiß die beste Ballade, die vor Loewe geschrieben ist, aber auch eine ganz vereinzelte Erscheinung in ihrer Zeit. “
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1894
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Haape, W. Maxime Du Camp. In: Allgemeine Zeitung, Beilage vom 13.07.
“[S. 2] Dem allgemeinen Zuge zum
Schaurigen folgend, versuchten Du Camp und L. de Cormenin eine Nachdichtung von Bürgers ´Leonoreß, die ja, ähnlich wie Hoffmanns Erzählungen, im Ausland viele Bewunderer gefunden hat. Sie legten ihre Verse Alfred de
Nusset und Victor Hugo vor; jener antwortete höflich, aber kühl, während V. Hugo ihnen überschwängliches Lob zollte.”
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1894
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Leipziger Tageblatt und Anzeiger 24.4.1894
"Musik. Soirée zu Ehren Anton Rubinstein's im alten Gewandhause. Nach dem ungeheuren Jubel der Zuhörerschaft war es eine zwingende
Nothwendigkeit, daß der Meister sich ans Clavier setzte, um dem Abend den schönsten Abschluß zu geben. Er spielte zuerst die A moll-Barcarole und dann die gigantische Ballade 'Leonore' nach Bürger (dem
unvergeßlichen E. F. Wenzel gewidmet), eine Programmmusik, die leider den meisten Hörern unverständlich war, weil sie nicht wußten, worum es sich bei den merkwürdigen Gegensätzen des Inhaltes handle.
Wer das Stück vor zwanzig Jahren hörte, als es Rubinstein zum ersten Male an einem Compositionsabend im damals noch nicht alten Gewandhause spielte, wird mit mir erstaunt gewesen sein, daß phänomale Kraft und
technische Geschicklichkeit des Spielers sich fast gar nicht vermindert haben. Darf man dem Pianisten Rubinstein auf Grund dieser Thatsache ewige Jugend prophezeien?
M. Krause"
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1894
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Dresdner Nachrichten 28.1.1894
"Ein Berliner Berichterstatter entwirft in der ‘Magd, Ztg,’ folgendes Stimmungsbild der Reichshauptstadt: [...] Dieser Stimmungswechsel ist die wahre Signatur dieser Tage.
Berlin ist in wahren Freudentaumel hineingerathen, und das hat mit seinen Briefen der junge Kaiser gethan! 'Der Kaiser und der Kanzler, des langen Haders müde, erweichten ihren harten Sinn und machten endlich
Friede!' so apostrophirte Abends ein flotter, junger Studio seine Kneiptischgenossen, und ein extemporirter Salamander war die rasselnde Antwort auf diesen guten Einfall, auf diese glückliche Eingebung des
Augenblicks."
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1894
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Berliner Börsen-Zeitung, Morgen-Ausgabe 07.06.
"Dem jüngeren Geschlechte ist Bürger weniger vertraut, als zu wünschen wäre. Es kennt nur den Balladendichter, dessen bedeutendste Schöpfungen bestehen werden, so lange überhaupt
Deutsche Dichtkunst geehrt wird, aber über Lenore, das Lied vom braven Mann, den wilden Jäger und den köstlichen Schwank 'Der Kaiser und der Abt' geht bei den Meisten diem Kenntniß nicht hinaus. Höchstens daß eine
sentimentale Seele noch über des Pfarrers Tochter von Taubenhain Thränen vergießt oder ein Declamator mit viel Lunge den Ritter Karl von Eichenhorst sein Dänenroß satteln läßt. Mit Bedauern nehmen wir auch wahr, daß
in den Anthologien Bürger mehr und mehr eingeschränkt wird. Beispielsweise ist aus den neueren Auflagen des Echtermeyer 'Die Kuh' entfernt, ein in seiner Schlichtheit tief ergreifendes Gedicht: 'Frau Magdalis weint
aus ihr letztes Stück Brod' u. s. w. Sprichwörtlich citiren wir das Blümchen Wunderhold, womit die Bescheidenheit gemeint ist, aber wer kennt das entsprechende Gedicht, und nicht alle, welche meinen, daß es nicht
die schlechtsten Früchte sind, woran die Wespen nagen, dürften sich entsinnen, daß sie damit aus einem Bürgerschen Epigramm schöpfen. In vollem Chore klingt es durch die Studentenkneipe: 'Herr Bacchus ist ein braver
Mann' oder 'Ich will einst bei Ja und Nein vor dem Zapfen sterben', doch wer von den Musensöhnen entsinnt sich, daß er Bürger singt?"
Der vollständige Beitrag
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1894
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Anzeige. In: Aschaffenburger Intelligenzblatt 09.03.
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1895
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Elster, Ernst. Bürger und Walther von der Vogelweide. In: Euphorion
„[S. 778] Mir sind in Bürgers Gedichten einige Anklänge an Walther aufgestoßen, die kaum auf Zufall beruhen können, und da sie eins seiner berühmtesten Gedichte betreffen,
verdienen sie vielleicht hier erwähnt zu werden. Die betreffenden Strophen sind in der älteren Sammlung Bodmers, den „Proben der alten schwäbischen Poesie“, (1748) nicht enthalten und können daher Bürger nur aus den
„Minnesingern“ (1758) bekannt geworden sein. Ich habe eins der besten Molly Lieder Bürgers im Auge, „Das Mädel, das ich meine“, und muß fast meiner Verwunderung darüber Ausdruck geben, daß bisher meines Wissens
niemand, auch nicht Sauer und Berger in ihren wertvollen Ausgaben, auf die Aehnlichkeiten hingewiesen haben, die dieses Gedicht mit Wathers „Si wundervoll gemachet wip“ erkennen läßt.“
Elsters Bürger und Walther in der ONLINE-BIBLIOTHEK
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1895
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Anzeige. In: Hamburger Fremdenblatt 19.5.
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1895
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Anzeige. In: Feldkircher Anzeiger 11.6.
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1895
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Anzeige. In: Leipziger Tageblatt und Anzeiger 17.8.
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1896
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Leimbach, Karl L., Ausgewählte deutsche Dichtungen für Lehrer und Freunde der Literatur. Erster Teil.
“[S. 99] Bürger war ein gutmütiger, liebenswürdiger, gegen Freund und Feind edeldenkender Mann, der mit den Feinden seine letzte Habe geteilt hat; er war bescheiden und anspruchslos,
teilnehmend an fremder Lust und fremden Leid, - aber er war leider auch leichtsinnig, leichtlebig, und sein früherer Lebenswandel nicht fleckenlos, seine traurige Lage nicht unverschuldet. Auch die meisten Gedichte
Bürgers ermangeln sittlicher Reinheit, streifen ans und sinken ins Gemeine, oft nicht aus Freude am Gemeinen, sondern weil Bürger, um allgemein verständlich zu werden (und ein volksmäßiger Dichter war er, wie
keiner nach ihm), das Platte und Unedle oft für ´das Populäre´ hielt und in Stoff und Ausdruck sich vergriff. - Ausgezeichnet war seine Begabung und sind teilweise seine Leistungen in der Ballade, nicht minder hervorragend war er in dem Sonette,
und Schiller hat nicht etwa deshalb ihn so scharf beurteilt, weil er Bürgers Begabung unterschätzte, sondern weil er an einen Mann, dem er Fülle poetischer Malerei, glühende, energische Herzenssprache, einen bald
prächtig wogenden, bald lieblich flötenden Poesieenstrom, ein biederes Herz nachrühmte, einen hohen Maßstab der Kunst legen und weil er von solchem Dichter Vollendetes fordern zu müssen glaubte.
Die Popularität Bürgers war übrigens eine großartige, - unerreicht; namentlich mit seiner Lenore hat er die ganze Welt in Entzücken versetzt und Gebildete wie Ungebildete in gleicher Weise für sich
begeistert. [Hervorhebung K.D.]”
Das vollständige Kapitel Gottfried August Bürger in der ONLINE-BIBLIOTHEK.
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1896
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Berg, Leo. Bürger und Schiller. Ein Essay. In: Zwischen zwei Jahrhunderten
“[S.224] Am wenigsten verzeiht und versteht Schiller die gewiss nicht makellose. aber prächtige Liebeslyrik Bürgers, die weder unkeusch noch gemeinsinnlich ist, die schon durch ihren
hohen formalen Reiz, ihre blühende Phantasie, ihre männlich-erotische Liebenswürdigkeit und ihren lebendigen fast modernen Empfindungsreichtum über alle Gemeinheit hoch erhaben ist, und die eine fast noch gar nicht
begriffene Bedeutung für die Entwicklung der modernen Lyrik gehabt hat. An Rhytmik, Melodik, Intimität der Stimmung und Seelenmalerei und an Feinheit der Technik stehen einzelne Lieder fast unerreicht da und
mussten, ehe die Romantiker der deutschen Prosodik ihre Geschmeidigkeit gaben, fast wie eine Offenbarung wirken.Schiller scheint hierfür kein Gefühl gehabt zu haben. Seltsam genug ist es immer und muss gemerkt
werden, dass er, der sich in der Rhytmik mit Bürger gar nicht messen durfte, der nie eine so virtuose Behandlung des deutschen Verses heraus hatte wie Bürger, der ja im wild Leidenschaftlich-Dramatischen wie im
Lyrisch-Weichen unerreichbar war, ihm sogar unechte Reime, “entstellende Bilder”, “unnützen Wörterprunk” und “harte Verse” vorwerfen konnte....”
Leo Bergs Essay in der ONLINE-Bibliothek.
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1896
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Steig, Reinhold. Frau Auguste Pattberg. In: Neue Heidelberger Jahrbücher Jahrgang VI, Heidelberg.
“[S. 85] Und wende mich zu dem vielumstrittenen Lenoren-Liede des Wunderhorns 2, 19, das weder von Arnim noch von Brentano herrührt, sondern das, wie das Originalmanuskript
unwiderleglich macht, von Frau Auguste Pattberg eingeliefert worden ist: unten S. 109.
[S. 86] Nun hat das Lied das seltsame Geschick gehabt, iu hervorragendem Masse der Träger des Streites zwischen Voss
und Arnim zu sein. Die Ähnlichkeit dieser Volks- und Naturballade mit Bürgers Kunstballade Leonore musste natürlich von Anfang an in die Augen fallen. Der Stoff derselbe. Einzelne Wendungen ähnlich. Der Unterschied
aber der: dass in dem Pattberg'schen Volksliede Feinsliebchen sich mit einer Art nüchtern-gesundem Gefühles gegen das Geisterhaft-Gespenstige dem Rufe des Geliebten versagt, während Bürgers Leonore, wie sich hier
überhaupt das Wirkliche mit dem Übersinnlichen grenzlos bindet, dem Geiste Wilhelms auf sein Ross und in die 'l'otenwohnung folgt.
[S. 88] Dies war der Stand der Dinge damals, als für das Wunderhorn
gesammelt wurde. Wieland, Schlegel nnd Althof - Boie beriefen sich sämtlich auf mündliche Mitteilungen Bürgers. Was sie aber Thatsächliches anzuführen hatten, wich von einander ab; und durch zwei bekannt gewordene
briefliche Äusserungen Althofs zu Friedrich Nicolai 1797 wird die Unbestimmtheit eher noch erhöht als vermindert. Die Möglichkeit, ja die Wahrscheinlichkeit der Existenz eines deutschen Volksliedes warausgesprochen.
Jetzt erhielt Brentano 1806 oder 1807 in Heidelberg ans dem liederreichen Odenwald von Frau Auguste Pattberg ein Lied ähnlichen, nicht gleichen, Inhalts und Wortklangs wie die Leonore oder die mit ihr in Verbindung
gebrachten Volksliedfragmente. Das war ein ungewöhnliches Ereignis in der sonst so einförmigen Samme!arbeit für das Wunderhorn. Es wurde im Freundeskreise angelegentlich erörtert.
[S. 94] Dies ist der
Thatbestand über Bürgers und des Wunderhorns Lenoren-Dichtungen, wie er damals vorlag, und seine tief in das persönliche Getriebe der beteiligten Personen eingreifende Geschichte. Ungewöhnlich reich erscheint sie
uns, und dennoch in ihrem uranfänglichen Werden lückenhaft und unvollständig. Stellt man bei Bürger überhaupt die Frage nach der Herkunft seines Stoffes, so kann als ein wichtigstes Moment alles dasjenige, was ihm
nicht dem Wortlaute, sondern dem Sinne nach im Gedächtnis blieb, nicht in Anschlag gebracht werden, und selbst die Vergleichung ähnlicher Dichtungen giebt uns doch im Einzelnen keinen festen Anhalt; die Volksballade
des Wunderhorns aber verschwindet unserem Gesicht in dem Augenblicke, wo wir sie rückwärts über die Frau Pattberg hinaus verfolgen möchten. Wenn ich die spätere, litterarische Beurteilung der Wunderhorn-Lenore - ich
verweise namentlich auf Wackernagel (Altdeutsche Blätter 1836. 1, 193. 196), Pröhle (Bürger 1856, S. 100), Goedeke (Grundriss 1881. 3, 39), Sauer (Kürschner 78, S. LV), Schmidt (Charakteristiken 1886, S.222. 240) -
mir vergegenwärtige, so glaube ich zu bemerken, dass im Durchschnitt die Vossische Kritik vor der Arnim-Brentano-Grimm'schen Auffassung im Vorteil geblieben ist. Jetzt, wo zu Strodtmanns authentischem Briefwechsel
und Schmidts Bekanntmachung der ´Ur-Leonora´ Bürgers der Originaltext des Pattbergschen Volksliedes hinzutritt, kann das Urteil ein anderes sein, und in diesem Sinne schliesse ich noch einige Bemerkungen an.“
Der vollständige Beitrag in der ONLINE-BIBLIOTHEK
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1896
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Gläßer, P. Das deutsche Kriegslied seit dem siebenjährigen Kriege. In: Wissenschaftliche Beilage der Leipziger Zeitung, 1. September. Digitalisiert
von Google
“[S. 419] Es waren in jener Zeit überhaupt viele sentimentale Lieder im Volke verbreitet; man sang: Guter Mond, du gehst so stille
In den Abendwolken hin. (a.d.J. 1800) [...] Herz, mein Herz, warum so traurig? Und was soll das Ach und Weh? (a.d.J. 1811) und viele
andere, die Jeden, besonders wenn ihm dazu die Melodien gewärtig sind, überzeugen müssen, daß nicht etwa nur das niedere Volk, sondern auch der Bürgerstand damals zu einer überzarten, schwermüthigen Empfindsamkeit
neigte. Um so furchtbarer wirkt der mitleidlose Spott, den der Untergang des französischen Heeres in Rußland im Volke hervorrief. Fast gleichzeitig mit der entsetzlichen Kunde verbreitete sich eine
Umdichtung von Bürger's Leonore: Napoleon fuhr ums Morgenroth Empor aus schweren Träumen - ´Ach, alles hin, ach, alles todt!
Jetzt muß ich Deutschland räumen.´ Wie elend und hohläugig die zerlumpten Gestalten, die bald darauf die preußische Grenze überschritten, auch aussahen, beim Volke haben sie, wie es scheint,
keine Spur von Mitleid erweckt; [...].”
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1896
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Wolgast, Heinrich. Litterarisch wertvolle Lektüre für die Jugend [zu Friedrich Hebbel]. In: Das Elend unserer Jugendliteratur, Hamburg.
“[S. 191] An Büchern, die der Knabe aus der Bibliothek seines Lehrers las, nennt der Biograph Emil Kuh Pappe's Lesefrüchte, Wilmsens Kinderfreunrl, der "in jener Zeit die meisten
Klipp- und Elementarschulen Norddeutschlands mit Kindergenüssen versorgte", Campe's Entdeckung von Amerika, ferner die Gedichte Salis', Matthissons und die Lichtwerschen Fabeln. Auch über den Eindruck, den
einzelne Dichtungen auf den Knaben gemacht haben, wird uns berichtet: " ... die Nacht blieb ihm unvergeßlich, in der er mit dem Sohne des Malers (bei dem er Zeichenunterricht hatte) . . . aufsaß und Bürgers
Lenore las : Wonne, Wehmut, Leben, Tod, alles auf einmal: ein Urgefühl!" .. Deutlich ... erinnerte er sich der Stunde, in der er die Poesie in ihrem eigentümlichsten Wesen und ihrer tiefsten Bedeutung zum
erstenmale dunkel gefühlt habe.
[S. 193] Einiges aus der Lektüre des Knaben blieb bis ins Alter dem Empfinden des Dichters gemäß. Bürgers Lenore und manche Lichtwer'sche Fabel recitierte er gern, den Don
Quichote las er jedes Jahr wieder und Uhlands Balladen gehörten immer zu seinen poetischen Lieblingen.”
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1896
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Leipziger Tageblatt und Anzeiger 2.9.1896
"Lindenau Drei-Linden Heute Mittwoch, den 2. September 1896, in den sämmtlichen Räumen des ganzen Etablissements: Große volksthümliche Sedan-Feier [...]
Große Theater-Aufführung: 'Leonore', oder 'Die Grabesbraut', Vaterländisches Schauspiel mit Gesang; Schlußtableau: 'Der Todtenritt.'"
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1896
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Anzeige. In: Hamburger Fremdenblatt 2.9.
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1896
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Zwanglose Wochenplauderei. In: Hamburger Echo 26.4.
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1896
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Anzeige. In: Leipziger Tageblatt und Anzeiger 2.9.
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1896
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Anzeige. In: Leipziger Tageblatt und Anzeiger 2.9.
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1897
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Schneider, Gust. Heinr. (Hg.) Der Blankenhainer Rachezug. In: Die Burschenschaft Germania zu Jena, Jena
“[S. 162] "Licht." Mit dem
sonnigen Morgen zogen, dahinten lassend Alles, was entbehrlich geworden, die sieggekrönten Schaaren der Marschfertigen, zum Theil sogar wieder in wohlgeordneten Kolonnen, größtentheils rottenweise, oder auch als
Marode auf einer langen Reihe mit frischem Laub bekränzter Bauerwagen und im Besitz der folgenden Tages am schwarzen Brett prangenden ´Satisfaktion´der inzwischen verwaisten Musenstadt wieder zu.
´Und jedes Heer mit Sing und Sang, Mit Paukenschlag und Kling und Klang, Geschmückt mit grünen Reisern
Zog heim zu seinen Häusern.´ - Läßt schon dieser Blankenhainer Zug erkennen, daß es nur geringen Anlasses bedurfte, um die Jenaische Studentenschaft zu besonderen Kraftäußerungen zu
veranlassen, so wies die unruhige Stimmung, welche sich nach der Rückkehr von Blankenhain und dem Bekanntwerden des Ausbruchs der Julirevolution in Jena bemerkbar machte, deutlich auf den Einfluß hin, den die
politische Lage auf die leicht erregbaren Musensöhne ausüben mußte.”
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bis 1789 1790-1799 1800-1806 1807-1815 1816-1821 1822-1825 1826-1828 1829-1831
1832-1836 1837-1840 1841-1845 1846-1850 1851-1855 1856-1858 1859-1861 1862-1865
1866-1868 1869-1870 1871-1880 1881-1897 1898-1915 1916-1949 ab 1950
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13042023-95
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